Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601





Christentum und Grundwerte - Ein Zwischenruf zum Cicero-Artikel „Warum unser Wertefundament nicht christlich ist“

Der Autor Ortlieb Fliedner irritiert mit seinem Text, dessen Überschrift bereits die Hauptthese formuliert. Er wurde am 21. Mai 2018 unter der URL https://www.cicero.de/kultur/laizismus-christentum-katholiken-gesellschaft-evangelen-demokratie-kirche-werte-menschenrechte veröffentlicht.

Inhaltlich suggeriert der Artikel die historische Unkenntnis eines Fachfremden. Die geistesgeschichtliche Sichtung des Rechtsanwalts umfasst im Kern offensichtlich ganze 85 Wörter und lässt die bedeutsamen Daten 1215, 1776, 1789 und 1948 ohne Analyse im Raume stehen. Es entsteht der Eindruck, als wären die Magna Charta, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Erklärung der Menschenrechte der französischen Revolution und die UN-Menschenrechtscharta ohne die Osmose mit dem Christentum ausgekommen.

O-Ton Fliedner: „Die Menschenrechte und damit unsere Werteordnung finden also keine Begründung in der christlichen Tradition. Unsere Werteordnung des Grundgesetzes jetzt christlich zu begründen ist daher schon mehr als Geschichtsklitterung, sondern grenzt an Geschichtsfälschung. Sogar heute akzeptiert die katholische Kirche die Menschenrechte nicht komplett.“

Fundamentaler Kategorienfehler und historische Unkenntnis 

Ortlieb Fliedner begeht einen fundamentalen Kategorienfehler: Er versäumt es, die sehr wohl vorhandenen und von ihm nicht benannten Einflüsse des Christentums auf unser kulturelles Wertefundament von einer Kritik an der Institution Kirche zu unterscheiden und zu trennen.

In seiner Kirchenkritik bezieht sich der Autor ex post auf Papst Pius VI. und den uns heute absurd erscheinenden Ultramontanismus/Antimodernismus ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sodann betrachtet Fliedner auch die derzeitige Situation der Kirche im Arbeitsrecht als sog. Tendenzbetrieb. Des Weiteren macht sich der Autor das Frauenpriestertum und die Forderung nach weniger Hierarchie zu eigen. Hier trägt er Eulen nach Athen.

Fliedner fokussiert demzufolge leider nur seine eigene und mutatis mutandis berechtigte Kirchenkritik, verfehlt die eigentliche Fragestellung jedoch und versteigt sich zu einer steilen These, die er sachlich nicht begründen konnte. Der Autor hat sich augenscheinlich verhoben.

Unbekannte Säkularisate der modernen Gesellschaft  

Die Lektüre eines Artikels von Arnold Angenendt ist hier zielführend und verschafft einen ersten fachlich fundierten Überblick. Angenendt erläutert konkret die für Europa „kulturrevolutionäre Bedeutung“ des Zusammenspiels von Monotheismus, Einsicht in Schuld und Hoffnung auf Gerechtigkeit, Gottesebenbildlichkeit des Menschen und Differenzierung von göttlicher und weltlicher Ordnung. 

Diese mentalitätsgeschichtliche Perspektive sensibilisiert für Säkularisate, die den Weg über das Christentum in die moderne Gesellschaft gefunden haben. Eines von zahlreichen Beispielen ist das Prinzip der Verantwortung, das „die ehemals religiöse Bedeutung, Gott im Gericht für das eigene Leben Rede und Antwort zu stehen“ abgelegt und „sich zum politischen Schlüsselbegriff gewandelt“ habe.

https://www.herder.de/cig/geistesleben/2013/07-12-2013/das-gute-am-christentum-was-hat-das-christentum-gutes-gebracht

Angenendts Sichtung endet mit dem Satz: „Die christlichen Zutaten aus unserer Welt herauslösen zu wollen, führte zum Zusammenbruch.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.  (© mpk/Juni 2018)


                                                                                                                         

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