Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

                                                                                                                 

                                             

 

Kirchenaustritt?    Update         

Über die illusionäre Sehnsucht nach der umfassenden Geborgenheit im Schoß von Mutter Kirche (Teil 1)                                              
Gewiss, neutestamentlich betrachtet wäre das Phänomen Kirche doch eher als "Braut Christi" und keinesfalls als "Mutter" zu verstehen, die man wohl auch in einem gänzlich anderen Beziehungsgeflecht wahrzunehmen gewohnt ist. Aber lassen wir diesbezüglich genauere Erörterungen einmal beiseite, wenngleich sie wichtige Unterschiede in der ekklesiologischen Wahrnehmung sog. konservativer und fortschrittlicher Jüngerinnen und Jünger Christi von Ferne aufzeigen könnten.

Die Menschen laufen in Scharen davon

Auf dem Regensburger Katholikentag 2014 fiel der Essener Generalvikar Klaus Pfeiffer mit einem erstaunlichen Statement auf: "Die Menschen laufen unserer Kirche in Scharen davon – und wir stehen klagend, schimpfend und jammernd daneben. Nur eines wagen wir nicht: Nüchtern und ehrlich nach den Ursachen zu forschen: Warum laufen die Menschen eigentlich fort?"  

Stefan Heße, damaliger Kölner Diözesanadministrator und heutiger Hamburger Erzbischof, versuchte indes nach der Bekanntgabe der erschreckenden Austrittszahlen von 2013 eine kirchliche Antwort zu konstruieren: "Studien haben gezeigt, dass rund ein Drittel der Katholiken mit dem Gedanken spielt, aus der Kirche auszutreten. (...) Mich macht es wirklich traurig, dass unter den Austrittswilligen viele Menschen sind (rund 90 Prozent), die sagen, dass sie in der Kirche keine Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens suchen." Leider moralisiert Heße. Die besagten 90 Pozent finden in der Kirche schlichtweg nicht mehr die Beantwortung ihrer Lebenssinn-Fragen, die wohl durchaus vorhanden sind. Mit anderen Worten: Kirche versteht ihr Kerngeschäft nicht mehr.     

Ives Congar: Tradition und die Traditionen     

Kirchliche Funktionäre kennen sich mit linearen Zuschreibungen gut aus. Für sie ist klar, dass diie Gottesfrage das einzige und wirkliche Problem einer Gesellschaft sei, die der Kirche den Rücken kehre. Die Realität ist gleichwohl komplexer, und so mischt sich diese Gottesfrage mit einer anderen und ebenso wichtigen: Wie bringe ich die Gottesrede des Jesus von Nazareth an die Frau und an den Mann? Wie verschaffe ich dem Evangelium Gehör? Und zwar an den "existenziellen Randgebieten"? 

Michael N. Ebertz bringt es auf den Punkt: "Kirche darf sich nicht nur von ihrem Ur­sprung her verändern („Ecclesia semper reformanda“), sondern sie muss sich auch aus ihrem jeweiligen soziohistorischen Kontext heraus umgestalten, damit ihre Botschaft überhaupt rezipiert werden kann." In der Regel begegnen konservative Katholiken dieser allzu wahren Einsicht mit dem Totschlagargument, dass man sich dem sog. Zeitgeist nicht anpassen dürfe. Sie sind in der Regel höchst erstaunt, wenn man - durch den guten Hinweis Ives Congars - doch bitte "Traditionen" von der "Tradition" unterscheiden kann: "Traditionen" sind als Zeitgeist vergangener Jahrhunderte zu entlarven.

Unser Kirchenbild ist durch das 19. Jahrhundert überaus stark geprägt. In ihm bediente man sich leider durch die politische und intellektuelle Bedrängung, also sehr zeitgeistbedingt an ausgewählten Traditionen wie Papalismus und Klerikalismus einer an sich viel reicheren Würde und Weite der kirchlichen Tradition.   

Franziskus & Dr. Dilemma    

Papst Franziskus bietet für viele das ersehnte Licht am Ende des Tunnels einer anachronistischen Klerikerkirche, die sich mit sich selbst zu beschäftigen pflegt.

"Eine Kirche „im Aufbruch“ ist eine Kirche mit offenen Türen. Zu den anderen hinauszugehen, um an die menschlichen Randgebiete zu gelangen, bedeutet nicht, richtungs- und sinnlos auf die Welt zuzulaufen. Oftmals ist es besser, den Schritt zu verlangsamen, die Ängstlichkeit abzulegen, um dem anderen in die Augen zu sehen und zuzuhören, oder auf die Dringlichkeiten zu verzichten, um den zu begleiten, der am Straßenrand geblieben ist. (...) Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben." (Papst Franziskus in: Evangelii Gaudium 46/49) 

Doch Jorge Mario Bergoglio hat - als mitunter geläutert konservativer Theologe - seinen ganz eigenen südamerikanischen Stil und setzt angesichts seines wohl kurzen Pontifikats auf strategisch wohlbedachte Impulse und nachhaltige Diskurse innerhalb der Teilkirchen, die er stärken möchte. Das braucht einerseits Zeit und setzt andererseits stabile Persönlichkeiten voraus. Doch leidet er unter dem Stress  vielzähliger Sprechstundentermine bei Dr. Dilemma: Er möchte diskutieren lassen und zugleich bereits entschieden entscheiden.                                                                                          
System der Spitzelei, des Duckmäusertums ...             

Wie gesagt, es bedarf stabiler Persönlichkeiten. Es mag dahingestellt bleiben, ob Patrick Dehm mit der Beschreibung der innerkirchlichen Verhältnisse zu Limburg als "System der Spitzelei, des Duckmäusertums, des Wegsehens und der willigen Helfer" eine umfassendere Beschreibung geliefert hat. Gewiss lässt sich eine zunehmende Ghettoisierung innerhalb der ausblutenden Rekrutierungskreise feststellen. Die "Wir-machen-weiter-so"-Mentalität beängstigend gleichgeschaltet, konzeptionell überfordert und (bis auf rühmliche Ausnahmen) auch mutlos wirkender Bischöfe erscheint nicht nur grotesk, sondern auch von einer systemisch-pathologischen Wahrnehmungsinsuffizienz geprägt. Letztlich läuft es stets auf die Währung einer Priesterkirche hinaus: Wir sind geweiht und haben das Sagen. Unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. vermochte man auf Funktionsebenen mit als reaktionär einzustufenden Profilen nachhaltig besser zu reüssieren. Priester und Laien, die als mutig und aufgeschlossen bezeichnet werden können, sind immer weniger vorhanden. Der lange Zeit innerkirchlich bekämpfte Reformflügel ist bereits vergreist.

"Christus ist monogam, nicht polygam!" - Wie bitte?    

Bemerkenswert ist, dass sich die sog. Laienbewegungen und viele Verantwortliche in dieser Phase dieser großkirchlichen Endphase sehr bedeckt halten. Hatten sich zu Wojtyłas Zeiten Bewegungen à la Opus Dei im belohnten Schulterschluss geübt, so vernimmt man heute unter Bergoglio ein taktierendes und abwartendes Schweigen. Um so mehr fällt ins Gewicht, wie man im Intrigantenstadl Vatikan die Vorstöße des neuen Papstes zu konterkarieren versucht. Das immer wieder vernehmliche  römische Ignorieren der Bistumsvorschläge bei deutschen Bischofsernennungen zeigt allemal auf, dass die Kirche vor Ort nicht ernst genommen wird. 

Wirkliche Überraschungen darf man ohnehin kaum erwarten. Der Passauer Bischof Stefan Oster zeigte bereits wenige Tage nach seiner Einführung durch seine gestrengen Einlassungen zu den wiederverheiratet Geschiedenen auf, wie man den smarten Jongleur geben kann, der die Hoffnungen grinsend enttäuscht. Durch den Passauer Newcomer wurden erstaunliche Dimensionen des Theologischen offenbar: "Christus hat nur eine Kirche gegründet, die er seine Braut nennt, er ist monogam, nicht polygam." Dieses ist kaum vertiefbar. 

Und so erweckt nicht nur die Doktorarbeit Rainer Maria Woelkis (siehe auch hier) den Eindruck: Wir haben es nach wie vor mit beinharten Repräsentanten einer klerikalen Männerkirche zu tun, die weder in den Gemeinden noch in der Theologie im Heute angekommen sind. Es sei ihnen gewiss zugestanden, dass sie mehr Frauen in der Verwaltung und diskutierenden Gremien einsetzen. Auch mit den Medien mögen sie besser umzugehen imstande sein als seinerzeit Kardinal Meisner, der der Einschätzung vieler zufolge nicht nur im Münsteraner Bischof Felix Genn einen erwerbstätigen Sympathisanten haben soll.  

WWW-Vulgärkatholizismus und die Mannwerdung Gottes in Jesus     

Die Liga der Konservativen (nunmehr ohne David Berger), die sich zuweilen gerne mit einem Ultra ziert, hat sich bezüglich Papst Franziskus in Stellung gebracht und mischt die verbleibende Szenerie auf, während viele schweigen. Hier vernimmt man in deutschen Landen mittlerweile nicht nur einen professoralen Alt-Kardinal oder einen beflissenen römischen Doppel-Sekretär, sondern auch die augenscheinlichen Hüter des mental Verworrenen. Der O-Ton lässt indes aufhorchen: "So lange die Fußballnationalmannschaft nicht gemischt spielt, sollten Frauen auch nicht Priester werden."

Unweigerlich wird die Gender-Fragestellung zum Profilterrain, auf dem eine Mannwerdung Gottes in Jesus von Nazareth zelebriert werden soll. Man kann nicht umhin, verstört festzustellen: Eine offensichtliche Melange aus Bildung und vulgärer Bigotterie feiert fröhliche katholische Urständ und zieht sich - im WWW erstaunlich gut aufgestellt - zurück.     

Dass ab einem Grad von mehr oder weniger reflektiertem Fundamentalismus kein ernstzunehmendes Gespräch mehr möglich zu sein scheint, wird spätestens deutlich, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, wie in immer noch hofierten Kreisen à la Petrusbruderschaft (nota bene: nicht Piusbruderschaft!) liberale und integrativ wirkende Personen des kirchlichen Lebens gewertet werden. Konkret heißt das z.B., dass Kardinal Karl Lehmann als "Glaubensverräter" bezeichnet und ungeniert in Seelsorgegesprächen derart kommuniziert wird. Das vatikanische Verbot von Messdienerinnen im alten Ritus (also der seit B16 wieder rundum erlaubten "alten Messe auf Latein") wirkt so fast schon wieder als Schutz vor kindlichen Traumata möglicher weiblicher Bewerberinnen.

Das recht geheime Werden und Wachsen des neuen Gebet- und Gesangbuches Gotteslob mag hier nicht nur von ferne diesem Spannungsfeld zugeordnet werden. Allein die römisch-deutschen Diskussionen um die Übernahme der Gesänge und Gebete von Huub Oosterhuis sind an Peinlichkeit kaum zu übertreffen.  mehr         

Hinweis: Moguntiner - Wikimedia.Commons.org (Foto Bischof Tebartz-van Elst)

                                                                       

Hier klicken - Teil 2 des Beitrages "Kirchenaustritt"                     

                                                                                                                       

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