Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601








Orgelimprovisation - Teil 2   

Tipps für Landorganisten - Leichte Orgelimpro-Modelle


Verehrte Organistinnen und Organisten,

offensichtlich suchen Sie zielführende Tipps, wie man doch besser improvisieren könnte. Drei Statements zu Beginn:

1.  Mit dem Spielen von vierstimmigen Liedsätzen aus dem Orgelbuch haben Sie die Aufnahmeprüfung längst bestanden

2.  In der Liturgie sind die Gesänge Ihr Kerngeschäft. Insbesondere Intonationen sind ein dankbares Übungsfeld für Sie und die Gemeinde.

3.  Sie müssen Spielzeit investieren und Frustrationspotenzial mitbringen. Das Motto heißt: Mensch, spiel und ärgere Dich nicht.  

Zu 1) Kantionalsatz als Ausgangspunkt 

Aus einem vierstimmigen Satz, wie sie ihn im Orgelbuch vorfinden, kann man mehr machen, als Sie vielleicht derzeit denken. Die Hemmschwelle vieler Interessierter liegt unberechtigterweise zu hoch. Üben Sie gleichwohl bitte zuerst mit einen Satz aus Ihrem Orgelbuch oder aus einer Sammlung alter Meister (die Übereinstimmung mit Ihrem Gesangbuch sollte indes vorhanden sein!), damit Sie satztechnisch auf der sicheren und vor allen Dingen korrekten Seite sind. Wenn Sie später selbst vierstimmige Sätze setzen können, umso besser. Viele warten das leider nicht ab.

Zu 2) Orgelspiel zum Gesang als liturgisches Kerngeschäft 

Sie schaffen mit Ihrem Orgelspiel im Gottesdienst unverzichtbare emotionale Atmosphäre. Und zwar durch Intonation (Liedvorspiel) und sog. Orgelbegleitung (besser: Gemeindeführung, weil akustisches Dirigat). Dieses sehr wichtige Thema wird auch hier behandelt. Intonationen stellen dabei ein vielfältiges und dankbares Experimentierfeld dar. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Gemeinde, die bereits vor dem ersten Ton weiß, wie das Vorspiel klingen wird. Registrierexperimente sind ebenso ein Muss wie Ihre ambitionierten Versuche, die Töne immer wieder neu zu ordnen. Vergessen Sie dabei aber bitte nicht, alles in dem Tempo zu spielen, in dem auch die Gemeinde das intonierte Lied singen soll.

Zu 3) Spielzeit zugunsten der Strukturenkompetenz   

Wenn Sie nun denken, dass Sie das ohne Übezeit mal eben so "improvisieren" können, dann liegt ein desolates Missverständnis vor. Improvisationen muss man vorbereiten. Sie müssen Zeit investieren und ein Konzept haben. Je professioneller Sie sind, desto schneller haben Sie dieses Konzept vor Augen und in Hand und Füßen. Die Investition lohnt sich. Das Leben ist ein lebenslanges Lernprojekt. Oder? Beachten Sie beim Ausprobieren bitte die sprachliche Wendung "Orgel spielen". Spielen hat etwas originär lustvoll Experimentelles. Wenn ich jetzt sage "Nehmen Sie das bitte ernst!", ja, dann hätte das Spielerische vielleicht wieder zu wenig Platz.

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Glossar:

Harmonien/Akkorde

Dur = große Buchstaben, Moll = kleine Buchstaben
Buchstabe nach dem Schrägstrich = Basston (quasi Leadsheet)
+ = Verbindung mehrerer Akkorde in Folge

Beispiel: a/F (a-Moll mit dem Basston F)

Beispiel: A+d+B+g (nacheinander A-Dur, d-Moll, B-Dur, g-Moll)

Einzeltöne

große Buchstaben = große Oktave, kleine Buchstaben = kleine Oktave, Buchstaben mit ' = eingestrichene Oktave, Buchstaben mit '' = zweigestrichene Oktave

Beispiel: G-d-e-G (Töne hintereinander)

Beispiel: Fc' (Töne gleichzeitig, von unten nach oben, hier also Quinte)
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Konkrete Hinweise zum Ausprobieren 

Die folgenden Gesänge sind grosso modo austauschbar und lediglich Mittel zum Zweck, um strukturierte Strategien zu verdeutlichen. Die Anforderungsgrade der Tipps sind unterschiedlich.


Picken Sie sich zwei Phrasen des Liedes heraus. Hier z.B. die erste (damit das Lied erkannt wird) und die dritte. Sie spielen nur mit den Händen (manualiter) und betonen dabei den Tanzcharakter mit der linken Hand. Rechts zitieren Sie die Melodie; Sie können auch gerne die Melodie und eine darunterliegende Terz mit der rechten Hand dazu greifen. Spielen Sie mit der linken Hand nur einzelne Basstöne auf 1 tief, auf 2 und 3 eine Oktave höher. Kürzen Sie die erste Phrase. Das Anfangsmotiv reicht. Reduzieren Sie zudem auf zwei Harmonien (Tonika und Dominante). Hier wären es Es-Dur und B-Dur (oder D-Dur und A-Dur). Jeder weiß jetzt, welches Lied gemeint ist. Trauen Sie sich, Durchgangsnoten, also Verbindungen zwischen den Melodietönen des Satzes zu spielen. Das Spielerische soll hörbar werden, indem Sie quasi Echobildungen auf einem anderen Manual zu Gehör bringen. Mit der dritten Phrase verfahren Sie ebenso, bilden sie jedoch vollständig ab, damit der Anschluss zur ersten tonartlich gewährleistet ist. Danach wiederholen Sie die erste Phrase mit dem Anfangsmotiv und setzen als Clou noch einen oben drauf, indem Sie die letzte Wendung in der rechten Hand eine Oktave höher wiederholen. Das war's.


Aufteilung des Liedes in vier Phrasen für diese Manualiter-Intonation: Die Phrasen 1 und 2 werden rhythmisch prägnant verändert, 3 und 4 mit einem anderen Klang dargestellt, die Vierklänge mit kürzeren Werten nacheinander gespielt und dabei kurz vor dem Schluss (bei "Rie-gel" auf A) gestoppt; stattdessen wird die Phrase 1 wiederholt.


Hier liegt ein Modell vor, das man - mit Modifikationen - sehr häufig einsetzen kann - auch bei unbekannteren Gesängen. In letzteren Falle müssten die Anreicherungen in der Melodie allerdings reduziert werden. Nun, die Masche ist so: Die linke Hand beginnt auf dem begleitenden Manual, die Pedal gesellt sich mit einer fortschreitenden Abwärtsbewegung dazu. Wie im Tonbeispiel kann die später einsetzende Melodie in der linken Hand quasi vorimitiert werden, so ist sie hier mit anderen Notenwerten zu hören. Dieser erste Teil endet auf der Dominante, hier also in A-Dur. So fädelt sich die linke Hand in die Tenorstimme des vierstimmigen Satzes ein, die Melodie des Liedes erklingt nun - mehr oder weniger verziert - in der regulären Sopranstimme des Satzes. Das Pedal ist ohnehin die ganze Zeit. Zwei Dinge muss man intensiv üben: 1. Das metrisch saubere Einfädeln der Melodie nach der Vorimitation der linken Hand (insbesondere bei auftaktigen Liedern). 2. Die Bewegung der Tenorstimme, wenn aus dem vierstimmigen Satz ein Trio gestaltet wird (Melodie- also Sopranstimme, Tenorstimme und Pedalstimme). In der Natur des vierstimmigen Satzes liegt die Crux, dass Tenorstimme und Pedalstimme im Zusammenspiel zuweilen "leer" klingen, weil z.B. Leittöne oder Terzen fehlen, die im Alt zu hören wären. Hier muss ein Ausweichen gestaltet werden, dass die "neue Tenorstimme" mit weiteren Durchgangsnoten belebt. Abschließend bleibt der Schlusston der Melodie liegen, während sich Tenor- und Pedalstimme (meistens im umspielten Terzabstand) fortschreitend in die Grundtonart bewegen. Auf der Metaebene gedacht: Musik hat immer etwas mit Öffnen und Schließen zu tun.

Diese dreiteilige, rhythmisch aufpolierte und mit der Melodie in einer Soloregistrierung dargestellte Intonation (pedaliter) klingt durch eine einzige weitere Harmonie innovativ: In D-Dur geht's gewöhnlich über G-Dur und A-Dur (Subdominante/Dominante) wieder zurück in die Grundtonart D-Dur (Tonika). Nehmen Sie unmittelbar vor G-Dur nun F-Dur vorweg (vom Grundton aus eine kleine Terz höher), spielen Sie also: F-Dur + G-Dur + A-Dur und dann F-Dur + A-Dur + D-Dur. (In C-Dur z.B. wäre es Es-Dur, das sich zu F-Dur und G-Dur gesellt. Versuchen Sie damit in den Außenteilen zu spielen! Den Mittelteil ("Sieh dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst") können Sie zunächst aus den Orgelsatz originalgetreu wiedergeben. Später schieben Sie einfach eine kleine kontrastierende Kadenz ein. 

Rondoartiger Aufbau: Die völlig gekürzte Melodiecharakteristik des Beginns wird als Ritornell genutzt, um die schrittweise Manualiter-Zitation des Satzes zu strukturieren.

Sehr einfaches Modell: Unterteilung des gesamten Liedes in Phrasenabschnitte und Darstellung auf zwei Manualen und Pedal, dynamische Steigerung im letzten Abschnitt durch zusätzliches Register - Vielleicht übertreffen Sie die das Hörbeispiel, indem Sie ein paar Melodietöne miteinander verbinden (Durchgangstöne) oder die Abschnitte alternativ unterteilen!

Charakteristik: Rhythmik swingen lassen, Schwerpunkt in der linken Hand (C-c, D-d usw.), rechte Hand mit den Harmonien nachschlagen, im Mittelteil Vierklänge aufbrechen, im Schlussteil überwiegt der klavieristisch-jazzige Teil mit chromatischen Rückungen (dieser kann auch entfallen); Wichtig ist jedoch der Schlussteil der Melodie, damit Sie wieder zur Grundtonart zurückkehren. Insofern bietet es sich an, die komplette Melodie zu verwenden, da sie immer wieder neue Leittöne besitzt.

Dreiklangsbrechungen beider Hände von außen nach innen, Mittelteil manualiter, Ende der Melodie im Trugschluss beenden (also auf a), Beginn wiederholen

Rondoartiger Aufbau der Manualiter-Intonation in C: Für den Refrain bzw. das Ritornell wird das Anfangsmotiv der Melodie mit Terzen in der rechten Hand aufgegfiffen, die linke bewegt sich mit Oktavsprüngen abwärts. Die Harmonien werden naiv abkadenziert (C+F+G). Es folgt das Zitat der ersten Melodiehälfte auf einem anderen Manual: rechte Hand zwei- bis dreistimmig (die wichtigen Terzen - also z.B. bei C-Dur das e - zur Erkennung des Tongeschlechts dürfen nicht fehlen!), die linke "wandert" mit Oktavsprüngen von Basston zu Basston. Nun wird das Ritornell mit den besagten Terzen in Moll gespielt und nach Dur abkadenziert, um den Melodieanschluss wieder zu finden (a+d+G). Die zweite Melodiehälfte wird nun zitiert. Abschließend wird das Ritornell wie zu Beginn wiederholt.

Reduktion auf Anfang und Ende der Melodie, schlichteste Akkordbegleitung


Einrahmung des Melodiezitats (linke Hand/Oktavsprünge, nennen wir es insgesamt: "naives Bicinium") mit einer schlichten und zugleich plakativen Kadenz

Bordunbässe (also Quinten) auf Fc' im 2-Viertel-1-Viertel-Rhythmus, ebenso Bf und cg, Ziel: Betonung des Tanzcharakters; ebenso archaisierende Veränderung des gekürzten Melodieverlaufs; Mittelteil in der Moll-Parallele d mit A+d+B+C+F; danach wieder wie Beginn, jedoch mit dramaturgisch bereichernden Pedaltönen

Hier werden Halbe auf a/F und Viertel auf g/C, um einen ganz neuen Sound des sehr vertrauten Liedes zu erzielen. Je bekannter das Lied ist, desto eher kann man eine derartige Strategie wagen. Weniger stark vertraute Gesänge müssen näher bis ganz nah am Original bleiben, um die Sängerschar nicht zu verunsichern. Die Begleitfigur wird mit B/G (Halbe) und F/D (Viertel) weitergestaltet, sie wendet sich dann C7 zu, um a/F und g/C im gleichen Muster wiederholen zu können. Die Melodie wird darüber reduziert und verfremdet. Wer mag, kann den etwas jazzigen Schlussakkord Fac'e'f' oder Fac'd'f' setzen. 

Dieses Intro lebt von Blue notes und der motorischen Figur in der linken Hand (Achtel mit G-d-e-G) für G-Dur. Sie wechselt recht simpel von G-Dur über C- und D-Dur wieder zu G-Dur und schließt mit einem umgekehrten Arpeggio in G-Dur, das durch den Ton e (Sexte) erweitert wurde. Das Zitat der Anfangstöne der Melodie im Pedal rundet diese Intonation schlussendlich ab.



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Leichte Orgelwerke mit und ohne Pedal - Tipps für die improvisatorische Praxis mit Notenvorschau-Seiten zu Intonationen, alternativen Begleitsätzen, liedgebundenen Bearbeitungen und freien Werken für Einzug/Auszug und Kommunion/Abendmahl unter besonderer Berücksichtigung eines Organistenalltags mit kurzen Übezeiten  mehr       

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