Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
Neues Gotteslob - Themenseite 2 - Situation im Vorfeld
Neues Gotteslob, Piusbruderschaft & Huub Oosterhuis ...
Wird es ein zensiertes Gotteslob 2 im römischen Retro-Look geben? Wie konservativ wird das neue Gotteslob sein? Und was hat nun der vatikanische Gotteslob-Kardinal Antonio Cañizares Llovera mit den Piusbrüdern zu tun? Informationen zu einem nahezu geheimen Projekt
"Man verrät kein Geheimnis, wenn man darauf hinweist, dass manche es darauf anlegen, Lieder von Oosterhuis aus dem künftigen neuen Gebets- und Gesangbuch herauszuhalten – aus welchen Gründen auch immer. Käme es dazu, wäre dies sicherlich ein schwerer Verlust an authentischer geistlicher Qualität eines solches Werkes", schrieb Klaus Nientiedt bereits vor Jahren in der Freiburger Bistumszeitung (Konradsblatt 28/2009).
„Die Neigung, Lieder und Gebete des „Ketzers“ Oosterhuis aus der Liturgie zu verdrängen, hat in jüngster Zeit eher noch zugenommen, was dort, wo man sich in deutscher Sprache mit einem neuen Gesangbuch befasst, nicht ohne Resonanz geblieben ist. Es ist in der Gesangbuchgeschichte nicht ganz unbekannt, daß das Ansehen der Person im hymnologischen Zulassungsverfahren eine Rolle spielt. Im Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950 hatte das Adventslied „Gott heil`ger Schöpfer aller Stern“ noch keinen Platz. Sein Verfasser war Thomas Münzer, der sich mit seinen Angriffen auf das „sanftlebende Fleich zu Wittenberg“ auf lutherischer Seite keinen guten Namen gemacht hatte. (...) Die Geschichte zeigt das Problem: die Angst, sich mit dem Singen eines Liedes auf die ganze Weltanschauung und Theologie seines Autors einzuschwören.“ |
Die weiteren Print-Neuigkeiten zum mit oberster Geheimhaltungsstufe gehandelten Projekt "Neues Gotteslob" bestätigen diese Befürchtungen: Auf Betreiben einiger deutscher Bischöfe werde dieses neue Gebet- und Gesangbuch beispielsweise das vielen Gemeinden vertraute ökumenische Lied "Ich steh' vor dir mit leeren Händen, Herr, fremd wie dein Name sind mir deine Wege" des genannten Dichter-Theologen (GL 621, entstanden 1964; Mel. Bernard Huijbers) wohl nicht mehr enthalten. Aber nicht nur das: Alle Gebete und Lieder(texte) von Oosterhuis würden der mehr oder weniger geschickt eingefädelten römischen Zensur augenscheinlich zum Opfer fallen. Die Bemühungen der genannten Bischofskreise hätten äußerst viel Aussicht auf Erfolg. mehr über Oosterhuis' Gotteslob-Lieder
Die Anmerkungen in den vier Bildpausen werden aktualisiert.
Der spirituell berührende Gesang GL 621 kann - und erfahrene Seelsorger und Kirchenmusiker wissen das zu schätzen - sehr komplexe pastorale und liturgische Situationen tröstlich in Worte und Töne fassen und vor allem transformieren. Die Sehnsucht nach Gott und seinem Trost wird in "Ich steh' vor dir" treffend artikuliert. Wer wollte dieses allen Ernstes bestreiten? Der Hintergrund des offenbar absurden Betreibens mancher Gotteslob-Funktionäre liegt allerdings im Kirchenpolitischen, denn der seit 1970 verheiratete Priester und ehemalige Jesuit Oosterhuis (*1933) ist ultra-konservativen Kräften selbstverständlich ein Dorn im Auge, da er zudem noch nach Querelen mitsamt seiner Studentengemende die katholische Kirche verlassen hatte. An dieser Stelle drängt sich freilich die nahezu groteske Frage auf, wie denn die Lieder Martin Luthers im neuen Gotteslob zu behandeln wären.
Es macht keinerlei Unterschied aus, ob Oosterhuis im vorauseilenden Gehorsam bereits durch die Gotteslob-Kommission zensiert wird oder ob man das Projekt in Rom samt Oosterhuis beflissen zur Vorlage bringt, devot auf die Zensur wartet und dann - vermeintlich unschuldig - miträgt: Bischöfe, die ein neues Gotteslob ohne Oosterhuis-Texte verabschieden würden, müssten sich die Frage gefallen lassen, ob sie denn fortgesetzt und (pars pro toto) eine neue Retro-Restkirche zu konstruieren und zu betonieren trachten. Ein YouTube-Kommentator hatte in diesem Zusammenhang die zielführende Taktik der ultramontanen Allianz nicht verstanden und auch nicht auf das Erstellungsdatum dieser Liste vor der Endredaktion geachtet: "Ich habe das komplette Inhaltsverzeichnis vom Stammteil des neuen GL vorliegen. Es entspricht NICHT - ich betone - NICHT den Tatsachen, dass die Osterhuis Lieder nicht mehr enthalten sind. Sowohl ..." mehr
So entsteht die eindringliche Frage, ob sich die einflussreiche Hardliner-Fraktion der deutschen Bischöfe nach dem Vorbild einiger niederländischer Kollegen durchzusetzen vermag. Auf der Seite leerhuisenliturgie.nl findet man folgende signifikante Darstellung der offensichtlich nur fernab des Theologischen erfassbaren Situation:
"... Ob dieser 'Liederstreit' eine Fortsetzung in Deutschland erfährt, ist unsicher. Das heutige Gotteslob enthält sechs Lieder von Huub Oosterhuis. Im vorigen Jahr erhielt der Bischof von Würzburg einen Brief aus Middelburg, in dem ihm stark abgeraten wird, Lieder 'des Ketzers Oosterhuis' in das neue Gemeinsame Gebet- und Gesangbuch (GGB) aufzunehmen. Dieser Brief wurde während der ..." mehr
In summa betrachtet muss festgestellt werden, dass hinsichtlich des neuen Gotteslobs ein beachtlicher Mangel an öffentlicher Kommunikation, ja ein "Fundamentalmangel an Transparenz" vorliegt, um einmal Worte Hans Küngs an dieser Stelle zu benutzen. Es drängt sich indes auch der Eindruck des zielgerichtet Klandestinen auf.
Polarisierung und verstümmelte Pluriformität?
Es ist zu bedauern, dass das grundsätzlich löbliche Großunternehmen "Einheitsgesangbuch Gotteslob" (weltweit ein - auch historisch betrachtet - einzigartiges Phänomen!) instrumentalisiert wird, um innerkirchlich zu polarisieren. Dass es in einer Großkirche sehr unterschiedliche Lied-Beheimatungen gibt, ist gänzlich selbstredend. Warum setzt man jedoch eine Spiritualität und Glaubenspoesie im Projekt Neues Gotteslob, die viele erwiesenermaßen anspricht, einer möglichen Zensur aus? Hier fahren Hardliner - und die Causa 'Gotteslob und Oosterhuis' macht es außerordentlich evident - die Nachfolgegemeinschaft Jesu allein schon durch ihr Ansinnen völlig unnötig und konfliktreich gegen die Wand: Kirche verstümmelt sich ganz konkret in ihrer gewachsenen, reichhaltigen und attraktiven Pluriformität.
Das Vorgehen des der Gotteslob-Kommission vorsitzenden Würzburger Bischofs Friedhelm Hofmann (er darf vermutlich dem Kreis um Kardinal Meisner zugerechnet werden) mag als kalkuliert eingestuft werden: Das neue Gotteslob soll auf sein Betreiben hin durch die wohl nicht nur dem Opus Dei nahestehende "Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung" penibel überprüft werden. Diese beachtliche Kongregation verurteilt dem Vernehmen nach die Texte Huub Oosterhuis' (Stichwort "Amsterdamer Studentenekklesia"), der in Rom als "Abtrünniger" gilt. Die vollumfängliche römische Überprüfung des Gotteslobs zzgl. Liedgut ist indes hinsichtlich der Notwendigkeit umstritten und wird als Schachzug des konservativ bis intensivkonservativen Teils der Deutschen Bischofskonferenz wahrgenommen, der damit alle verbliebenen liberalen Kräfte dieses Kollegiums unter Zugzwang setzen möchte. dazu die Worte Kardinal Lehmanns
Kardinal Cañizares Llovera bei der Priesterbruderschaft Sankt Petrus zu Wigratzbad - Link 1 Kardinal Cañizares Llovera bei der Priesterbruderschaft Sankt Petrus zu Wigratzbad - Link 2 "Mit besonderer Empfehlung von S.Em. Kardinal Cañizares Llovera: Die französische Vereinigung „Sacra Musica“ hat ein prächtiges Gesangbuch herausgegeben ... Erstellt hat das Buch Pater Bernard Lorber von der Priesterbruderschaft St. Pius X. Das Buch wird hervorgehoben durch ein Vorwort S. Em. Kardinal Cañizares Llovera, des Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente." Antonio Kardinal Cañizares Llovera und sein empfehlendes Vorwort in einem Gesangbuch der Priesterbruderschaft St. Pius X. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ "Könnte man sich nicht ein friedliches Nebeneinander von Neuer und Alter Messe vorstellen? Nein. Beide verhalten sich zueinander wie Feuer und Eis. Die Alte Messe ist katholisch und predigt das Christkönigtum; die Neue Messe ist ökumenisch und demokratisch. Eine Koexistenz ist auf Dauer nicht vorstellbar. Das ist der Grund, warum einerseits im Raum der "konziliaren" Kirche die Alte Messe so sehr unterdrückt und verfolgt wird, und warum andererseits die Priesterbruderschaft St. Pius X. sich weigert, die Neue Messe anzuerkennen. Erzbischof Lefebvre nannte die Neue Messe einen "illegitimen Ritus"; denn sie ist eine Mischung aus katholischen und protestantischen Elementen, sie ist keine wirklich katholische Messe mehr. Langfristig wird einer der beiden Riten verschwinden müssen. Der katholische wird es nach den Worten Unseres Herrn sicher nicht sein." mehr (Der letztgenannte Link wurde auf dieser Seite des Münchener Neutestamentlers Prof. Dr. Gerd Häfner recherchiert. Sie besitzt eine empfehlenswerte Dialektik!) |
Parallelgesellschaften: Kardinal Cañizares Llovera - "der kleine Ratzinger" genannt - entscheidet letztlich über Gotteslob Nr. 2
Der Blick hinter die Kulissen ist ernüchternd: Die über das neue Gotteslob letztlich entscheidende Kongregation als gestreng zu bezeichnen, wäre nur ein Teilaspekt. Hingegen kann man sich mitnichten des Eindrucks erwehren, dass in dortigem Milieu ein mitunter peinliches Vorgestern fröhliche Urständ feiert, als hätte es die Bemühungen um eine Verheutigung von Kirche nie gegeben. Freilich wird das Aggiornamento des Zweiten Vatikanischen Konzils von vielen und nicht nur römischen Sachwaltern des kirchlichen Rückwärtsganges als sog. Hermeneutik des Bruchs denunziert.
Die für den sensiblen Beobachter wahrzunehmende Tatsache, dass sich Kardinal Cañizares Llovera offensichtlich sowohl der Petrusbruderschaft als auch der Piusbruderschaft verbunden fühlt, mag einerseits beunruhigen, andererseits vielleicht bestätigen. Die eigentliche Differenz zwischen beiden Klerus-Clubs ist letztlich nur eine marginal rechtliche und auf den Bischof von Rom bezogene.
Dammbrüche
Spätestens mit dem Apostolischen Schreiben "Summorum pontificum" von Papst Benedikt XVI. in 2007 scheinen zahlreiche Dämme gebrochen. Durch die mit diesem Motu Proprio einhergehende Erlaubnis zum Zelebrieren der Messe im wahrlich vorkonziliaren Ritus von 1570 ist ein recht deutlicher Rubrizismus auf den Weg gebracht worden, der - auch abseits der unselig antijudaistischen Karfreitagsfürbitte für die Erleuchtung der Juden - im Umfeld eines längst überwunden geglaubten Triumphialismus eine intensive Förderung erlebt. Dass hier Messdienerinnen schlichtweg verboten sind, dürfte gleichwohl konsequent sein und zugleich von der Tatsache ablenken, dass in dieser Form des Gottesdienstes jegliche Partizipation der Gemeinde unbedeutend ist: Sie begleitet die Priesterliturgie mit stillem Gebet oder allenfalls mit Gesängen zum Geschehen am Altar. Hier wird zum Beispiel nicht das Gloria gesungen, nein, man singt lediglich zum Gloria. Das gültige Gloria betet allein der Priester. Zwangsläufig muss wahrgenommen werden, dass weder Messdienerinnen noch Oosterhuis in einer derartigen Retrospektive Platz haben.
Es verwundert auch kaum, dass mit derlei regressiven Attitüden die Gedankenwelt folglich ultra-konservative Ergebnisse zeitigt und eine bei entsprechender Protektion reüssierende kirchliche Ghetto-Heimat erhält. Dazu nur ein Beispiel:
"Einen flammenden Appell gegen die Abtreibung formulierte kürzlich Antonio Kardinal Cañizares, Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Dabei nahm der Kirchenfürst Bezug auf die aktuelle Debatte um angebliche Kindesmissbräuche in kirchlichen Einrichtungen in Irland. In einem Interview mit dem Fernsehsender TV3 stellte Cañizares klar, dass das, „was in einigen Schulen geschehen sein mag“, nicht zu vergleichen sei mit den „Millionen von Leben, die durch gezielte Schwangerschaftsabbrüche zerstört“ würden. Zugleich betonte er auch, dass die Vorfälle in Irland absolut zu verurteilen seien. „Dafür müssen wir uns entschuldigen.“, so der Kardinal wörtlich." (Quelle: kathnews.de)
Starke Zweifel an der Kompetenz dieser römischen Behörde sind - nicht nur nach dem Desaster um das Liturgiebuch für die Begräbnisfeier (2009) - angebracht, und es stellt sich die bohrende Frage: Ist hier das neue Gotteslob gut aufgehoben?
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Gotteslob 2: Jünger und moderner?
Der späte und zugleich recht persuasive Sachstandsvortrag des Würzburger Bischofs, in Rom werde nunmehr das gesamte Gotteslob-Paket "rekognosziert" (O-Ton Radio Vatikan), bleibt in seiner Darstellung nahezu unnachahmlich. Es verwundert nicht, dass selbst moderate Kräfte innerhalb der deutschsprachigen Kirche angesichts dieser Vorgänge ein entstelltes Gotteslob befürchten. Die Frage nach dem Inhalt und Geist, den dieses neue graue und mit einem roten Kreuz versehene Gebet- und Gesangbuch (zum voraussichtlichen Preis von ca. 15 Euro) repräsentieren wird, wurde durch die Verantwortlichen bislang lediglich ausweichend aufgegriffen: Gesänge, die 1975 und somit zeitbedingt nicht in den Stammteil gelangten und weiterhin mittels der Diözesananhänge und weiterer Ergänzungen verbreitet wurden (offensichtlicher Schwerpunkt: 19. Jh.), würden wieder größere Beachtung finden. Nach Einschätzung unterrichteter Kreise wird das neue Gotteslob süddeutscher sein, denn "traditionellere Lieder wurden beharrlich vermisst" (Zitat aus Katholische-Kirche-Vorarberg.at).
O-Ton einer Kantorin zur Teil-Probepublikation: "Inhaltlich wünsche ich mir hier und da etwas mehr Mut, neben altem, wichtigem Lied- und Textmaterial wirklich Neues einzubringen. Meiner Erfahrung nach sind da auf musikalischem Gebiet gerade die schlichten, leicht zu lernenden, aber intensiven und meditativen Gesänge aus Taizé oder aus der Praxis der Ordensgemeinschaften und Geistlichen Gemeinschaften zu nennen. Sie zeugen von einer spirituellen Tiefe und sind auch generationenübergreifend sehr gut einsetzbar." mehr
So drängt sich der Eindruck auf, dass die bischöfliche Gotteslob-Reklame mit dem Slogan "Jünger und moderner!" auf Katholisch.de sehr hinterfragbar ist, wenn denn dem Vernehmen nach grenzwertige und häufig unliturgisch genutzte Retro-Schmankerl wie "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe" (aus der sog. Deutschen Messe von F. Schubert) über "Es jubelt aller Engel Chor" bis hin zu "Herz Jesu, Gottes Opferbrand" in den Bestand aufgenommen werden sollen. Wenn dazu noch Oosterhuis-Lieder fehlen sollten, wird auch ein traditionell wirkendes Additum aus dem evangelischen Bereich und eine Portion NGL neben etwas Lobpreis, Taizé & Co. an einem gefühlten Desaster nichts ändern können, denn diese Gesänge werden häufig ohnehin aus alternativen Liederbüchern gesungen. mehr dazu auf der Themenseite 2 - Feedback & Diskurs
In diesem Zusammenhang mag auch Prof. Dr. Stefan Klöckner mit seinem sehr aktuellen und zugleich äußerst feinsinnigen Aufsatz "Gegenwelt im „Retro"-Look - Droht eine Perpetuierung des liturgischen Plusquamperfekts?" nachdrücklich zur Lektüre empfohlen werden. mehr und noch mehr auf der Seite "Kirchenmusiker"
"Boykott" einer Arkandisziplin mit Pseudo-Diskurs?
Das Misstrauen ist aufgrund der fehlenden Transparenz vielerorts recht groß. Abseits des Gesangbuches wird vor allen Dingen eines als ekklesiologische Kernbotschaft transportiert: Der vermeintliche Laie hat sehr wenig bis nichts zu melden. Das Wort haben lediglich Fachleute und sehr wenige auserwählte alleinstehende Männer, die fernab per definitionem entscheiden können.
Bereits jetzt scheinen einige Gemeinden auf den Gedanken gekommen zu sein, das neue Gotteslob "boykottieren" zu müssen. So wird dieses realisiert, indem sie noch einen kompletten Satz des jetzigen Gotteslobs (1975) anschaffen und damit nachhaltige Fragestellungen aufwerfen. Genau das wollte man jedoch durch die auffällige Geheimnistuerei der Gotteslob-Kommission mit einer Art Pseudo-Partizipation sehr weniger Gemeinden und äußerst schweigsamer Spezialisten verhindern: eine öffentliche Diskussion.
An dieser Stelle fällt der Unterschied zur ausführlichen und zugleich heftigen Gotteslob-Debatte um 1975 auf: Engagierte Christen fortschrittlicher Couleur fehlen zunehmend; Kirche ist deutlich milieuverengter, ängstlicher und auch depressiver geworden. Stattdessen greift die Dunkelmänner-Mentalität à la Opus Dei & Co. nebst zahlreichen indiskutablen Internetforen und-auftritten in einflussreich betuchten Kirchenkreisen eines konservativen Vulgärkatholizismus um sich. Letztgenannte freuen sich klammheimlich über die zu befürchtende geschickt eingefädelte und römisch sekundierte Regression im Gewande eines neuen Gebet- und Gesangbuches.
Die Bewältigung der bischöflichen und ultramontanen Retro-Kumpanei könnte in einer weiteren Strategie liegen: Die XXL-Gemeinden haben Zeit, das neue Gotteslob subversiv mit einem Einlegeheft zu korrigieren. Dieses Verfahren erwies sich durch die im Laufe der letzten Jahre überarbeiteten Diözesananhänge als durchaus praktikabel. Die Hürde, ein eigenes gänzlich neues Gemeindeliederbuch zu entwerfen, wird vielerorts zu hoch liegen, wenn es nicht systemisch erleichtert wird (siehe dazu unten die profunden Vorschläge von Heinz-Walter Schmitz). Da jedoch die kirchlichliche Landschaft beängstigend zeitnah durch die rapide abnehmenden Priesterzahlen mächtig in Bewegung ist, kann man wenig abschätzen, ob sich nicht noch andere regionale Gesangbuchentwicklungen auftun.
Eine Prognose scheint gleichwohl sehr sicher zu sein: 1. Der eigentliche "Boykott" des neuen Gotteslobs wird mit leeren Kirchenbänken und geschlossenen Kirchen sichtbar werden. 2. Die Verkaufszahlen des Gotteslobs 1975 werden nicht erreicht werden können. Bis 2006 waren es übrigens 20 Millionen Exemplare.
Heinz-Walter Schmitz auf dem Symposium des Deutschen Liturgischen Institutes Trier und des Graduiertenkollegs „Geistliches Lied und Kirchenlied interdisziplinär“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (2002) Das individuelle Liederbuch für die Pfarrei ist längst Wirklichkeit "Die Diözesananhänge haben durch mehrere Teilrevisionen versucht, Modernitätsansprüchen auseinanderstrebender kirchlicher Lager zu entsprechen. Zu denken geben sollte, daß die Zeitintervalle der Umarbeitungen der Diözesananhänge immer kürzer geworden sind und daß sich in vielen Diözesen das Mengenproblem in einem Buch nicht mehr hat lösen lassen. Es existieren in vielen Diözesen mehrere Gesangbücher nebeneinander. Die Akzeptanz des neuen GGB in Buchform ist von daher keinesfalls selbstverständlich, da es die Vielfalt des Liedgutes nicht mehr darstellen kann und somit in stetiger Konkurrenz zum Liedblatt stehen wird. Über die Inhalte eines Gesangbuches kann die liturgische Praxis nicht mehr gesteuert werden. Es fehlt nirgendwo am passenden Lied: jede Gemeinde singt genau die Lieder, die sie sich wünscht. Ein Blick in die Diözesananhänge der neunziger Jahre zeigt, daß es Überlieferungswege für gewünschtes Liedgut auch neben dem Gotteslob gegeben hat. Das Liedblatt ist über seine praktische Seite hinaus der Liturgiekompetenz-Imageträger für den liturgienahen Personenkreis geworden. Das individuelle Liederbuch für die Pfarrei ist längst Wirklichkeit: zwei große Münchner Pfarreien praktizieren dieses Modell seit einiger Zeit. Daran wird ein GGB, selbst wenn es als lexikondickes Kompendium der älteren und neuesten Hymnologie erscheinen würde, nichts mehr ändern. Aufgabe der Gesangbuchkommission sollte es sein, eine praktikable Datenbank mit allen verfügbaren Liedern anzulegen." mehr |
Subversiver Widerstand gegen bischöfliche Retro-Kumpanei? Wir brauchen kein Gotteslob mehr ...
Vielleicht hat Prof. Dr. Hermann Kurzke (Mainz) einen äußerst konstruktiven Gedanken in der bislang wenig belebten Diskussion bereits unterbreitet: "Ich denke, dass man im Zeitalter des Internet nicht mehr unbedingt ein Gesangbuch brauchen wird, das alle Lieder enthält. Stattdessen könnte das Gotteslob den traditionellen Kern bilden und darüber hinaus könnte sich jede Gemeinde etwas aus dem Internet ziehen und ausdrucken. In der Gesangbucharbeit gibt es auch eine ganz radikale Fraktion, die sagt: Wir brauchen überhaupt kein Gotteslob mehr, wir stellen 3.000 Lieder online und jede Gemeinde lädt sich ihre eigene Liedersammlung herunter." (Beitrag auf katholisch.de offensichtlich gelöscht; Anm. d. Red.)
Wie man auch immer mit einem römisch begutachteten Gotteslob umgehen mag: Selbstverständlich sind Gemeinden gefragt, in denen Pfarrer, Diakone, Pastoralassistenten und -referenten, Kirchen- und Pfarrgemeinderatsvorsitzende im Gegensatz zu ihren Bischöfen die Hosen anhaben. In zunehmend priesterlosen Zeiten haben die in Gemeinden Engagierten mehr Gestaltungsspielraum denn je.
Was den - und nicht nur hier ist man amtskirchlich recht erfahren - verweigerten episkopalen Gotteslob-Diskurs anbelangt, so sei auch folgender Vorschlag mitgeteilt: Spätestens dann, wenn Bischöfe in ihren Edelkarossen jenseits der 50.000-Euro-Grenze (z.B. Bistum Essen: vermutlicher durchschnittlicher Neupreis ca. 75.000 Euro gemäß DUH-Angabe) bei der nächsten Firmung vorstellig werden, kann ihnen zumindest gesanglich-spirituell die rote Karte gezeigt werden. Oder man spricht sie einfach mal an der nächsten Tankstelle an. Das neue Gotteslob dürfte dann freilich nicht das einzige Thema bleiben.
Darf man hoffen, dass sich noch alles zum Guten wendet? Viele kirchliche Entwicklungen der letzten Jahre lassen eine lediglich recht verhaltene Zuversicht aufkeimen. Vermutlich wird es nicht dazu kommen, dass Kardinal Cañizares Llovera ein empfehlendes Vorwort für das neue Gotteslob schreiben wird, auch wenn es seine Handschrift bereits längst tragen sollte. (mpk)