Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601




Die PC-Orgel als demokratisches Instrument

Konkretionen im Spannungsfeld eines elektronischen, digitalen, sakralen und virtuellen Simulacrums

Mit den Zeilen dieser Seite werden zwei Ziele verfolgt. Einerseits soll das Instrument in konziser Form musiksoziologisch eingeordnet werden. Andererseits werden Detailinformationen zum Besten gegeben. Mit Bedacht wurde ein Foto des Midi-Blocks der Firma Hoffrichter aus dem Jahre 2006 eingefügt.

Vor allem soll jedoch der Hybris ein ehrlicher Spiegel vorgehalten werden, die da meint, dass ein sog. virtuelles Orgelinstrument etwas grundsätzlich Neues gegenüber der Digital- oder Sakral-Orgel darstelle. Beide Systeme besitzen einen Computer, der eine ist intern gelagert, der andere extern. Die mit dem sprachlogisch etwas irrlichternden Begriff versehene sog. virtuelle Orgel arbeitet als softwarebezogene Installation modularer und ist eher auf Updates bzw. Upgrades ausgelegt als das hardwarebezogene Instrument Digital- oder Sakral-Orgel, das sich durch schnellste und verlässliche Ingebrauchnahme auszeichnet.

Die derzeitigen Innovationen LiVE von Johannus und Sweelinq von Noorlander versuchen, zwischen beiden Systemen kompetent eine Brücke zu schlagen. Hinzu kommt die Problematik der Abstrahlung, die hinsichtlich einer Vergemeinschaftung des Hörens für die Digital- oder Sakral-Orgel zunächst nicht so große Probleme bereitet wie die softwarebezogene Installation à la Hauptwerk oder GrandOrgue. Letztere wurde einst gar als "Egoisten-Orgel" bezeichnet.

Differenz vs. Defizit - musiksoziologische Gedanken zum Instrument

Das jüngste historische Instrument ist das Harmonium. Seine gesellschaftliche Relevanz darf nicht unterschätzt werden. Es stellte eine vor allen Dingen neue Egalité her, die insbesondere dem weiblichen Anteil der Bevölkerung zugute kam. So muss man sich die damaligen Verhältnisse an einem deutlichen Beispiel in Erinnerung rufen: Zu Chopins Beerdigungsmesse mussten 1849 die Frauen in der Pariser La Madeleine hinter einem schwarzen Vorhang singen, um Mozarts Requiem darbieten zu können, was der Wunsch des Verstorbenen war. Im privaten Raum konnte man sich dieser Kontrolle bereits seit Längerem durch das Klavier entziehen. Abgesehen von der weiteren geschlechteremanzipatorischen Wirkung kam durch das Harmonium jedoch auch die häuslich einverleibte Aura des Sakralen und somit eine bis dahin unerlaubte Partizipation des bürgerlichen Milieus auf den Weg.

Mittlerweile begreifen wir, dass das Harmonium nicht nur ein mehr oder weniger geglückter Orgelersatz für durchschlagende Zungenregister ohne Stromkosten ist, sondern ein Instrument eigener Qualifikation darstellt. Von dieser Erkenntnis sind viele Besitzer und Hörer digitaler Orgeln leider weit entfernt. So sind sie häufig von einem Komplex geplagt, der sich vor der hochkultürlichen Folie realer Kirchen- oder Konzertsaal-Orgeln mit Licht und Schatten abzeichnet. Die bloße Differenz wird nahezu autoaggressiv als Defizit mit Erklärungsbedarf wahrgenommen.

Mehr noch: Selbst Poweruser leiden unter diesem Komplex, unterscheiden lustig und penibelst zwischen digital und virtuell, rechtfertigen sich mit vorgeblich unkritisierbaren Ausstattungen und titelillustren Gästen bei fettem Honorar auf der Orgelbank: Seht her, die einst verfemte elektronische Plastik-Orgel ist perdú, ich habe die größte und weltbeste Anlage, sonst kämen die erlesensten Organisten ja doch nicht zu mir ins Wohnzimmer! Obendrein gibt es dann noch den Hersteller-Zertifizierungscode "ultra-realistisch", mit dem man sich an der Pfeifenorgel abarbeitet, anstatt sich ehrlich zu machen und die überforderten Nahfeldmonitore etwas tiefer zu hängen, um einmal metaphorisch konsequent zu bleiben.

Kurzum: Die Digitalorgel - egal ob mit internem oder externem PC - kann sehr gute Ergebnisse auf den Weg bringen, wird eine reale Orgel nie ersetzen können, da sie die verschiedenen Klangparameter nicht vollumfänglich abzubilden in der Lage ist, und stellt eine eigenständige Instrumentengattung dar, die für viele Menschen auch in kleineren Einkommensverhältnissen unabhängig von ihrer Weltanschauung zugänglich ist. Um es rhetorisch und vielleicht auch humorvoll auf den Punkt zu bringen: Die digitale Orgel könnte eine Konkretion von Willy Brandts einstigem Slogan "Wir wollen mehr Demokratie wagen" sein.

 
Lassen wir zum Schluss dieser kleinen Betrachtung den legendären Kommentar eines promovierten Konzertorganisten auf uns wirken, denn er passt sehr gut zur soziologischen Anamnese: "Was mir nämlich nicht behagt, ist das System einer von diversen Anbietern von Hardware und Software, von "Hochglanz"-Rezensenten und von finanziell überdurchschnittlich gut ausgestatteten Kunden, die allesamt gelegentlich bis zum Rang eines Gurus aufsteigen können, dominierten "geschlossenen" Hauptwerk-Gesellschaft."

Notizen zur derzeitigen "Installation"

- Nach wie vor wird der dreimanualige Spieltisch HWB2-3 der Fa. Hoffrichter aus dem Jahre 2007 verwendet. Eine gute und zuverlässige Handwerksarbeit. 

- Intel Core i7-10700 (8/16x2.9-4.8 GHz) mit 128 GB RAM, zwei M.2-NVMe-Laufwerken 1TB und einer wiederverwendeten RME-Soundkarte (HDSP 9632 Hammerfall) – eines der letzten Werke von Uwe Horche. Sehr zufrieden, herzlichen Dank!

- 21,5''-Touchmonitor (und der ergonomische Pedaltastentrick): Mittlerweile habe ich mich an diesen gewöhnt. Es ist m.E. die Mindestgröße für Hauptwerk, wenn man nur einen Monitor hat. So kann ich jetzt zwei Systeme für das Registrieren nebeneinander nutzen, da sich die Fußpistons meines Hoffrichter-Spieltisches midimäßig nicht überschreiben lassen: Erstens registriere ich über den Touchscreen. Die Setzerfunktionen Cancel/Zurück/Vorwärts bediene ich über dis', e' und f' des Pedals. Das ist ergonomisch super, weil sich geschulte Füße die Mensur des Pedals "sehr gut merken können" und man mit einem Autofahrer-Seitenblick die obersten Pedaltasten bestens im Wahrnehmungsfokus hat. Zweitens kann ich darüber hinaus immer noch den Spieltisch mit 64 Registertastern und zwei Fußpistons für 8 x 3 Setzer für ein Best of der Samplesets verwenden. Ich stelle fest, dass mir die Nutzung über den Touch und die Pedaltasten zunehmend besser gefällt. Die Flexibilität wird geschult.

Orgeljournal-Test: CPU-Auslastung am Beispiel des Billerbeck-Sets von Sonus paradisi mit i7-10700 (8/16x2.9-4.8 GHz)

6-Channel-Set mit 24-Bit-Auflösung komplett und komprimiert geladen,
lt. HW6 bei verfügbaren 128 GB noch 37 GB ladbar - Polyphonie-Einstellung 6016 (lt. Empfehlung SP) - Audio buffer size (sample frames) 256 - Sample rate 48 kHz

Task-Manager: RAM 91% belegt -
CPU-Auslastung max. 48% (4,59 GHz) bei Registrierung im üppigen Plenum aller fünf Werke mit zahlreichen Sub- u. Superkoppeln u. geschüttelten, vollgriffigsten Akkorden u. Pedal
 

- Drei neue Klaviaturen TP65LW von Fatar liegen noch im Versandkarton von Pausch-e.com und sollen in Bälde gegen die TP64LW meines Hoffrichter-Spieltisches ausgetauscht werden.

- Die neuen aktiven Nubert nuPro X-6000 RC sind zum Niederknien. Ich hatte nach äußerst guten Erfahrungen mit zwei Nuberts im Wohnzimmer die Idee, dass diese sog. „ehrlichen Lautsprecher“ für eine virtuelle Orgel taugen würden. Die andernorts geäußerten Foren-Unkenrufe habe sich als völliger Käse erwiesen. Man muss sich mittlerweile nicht mehr darüber wundern, dass diese linearen Lautsprecher zunehmend in Tonstudios eingesetzt werden. Die noch größeren 8000er hätten allerdings mein 13-Quadrat-Arbeitszimmer gesprengt. Eher denke ich über einen zusätzlichen nuSub XW-700 nach, obwohl die beiden 6000er bis 28 Hz satt einbetten. Als Rear-Abstrahlung dient mit recht leiser Einstellung im virtuellen Surround (Summen-Signal vorne und hinten der Präzision wegen) ein Paar der bislang verwendeten Syrincs M3-220 nebst Subwoofer.  (mpk) 


                                                                                                                                    

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