Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
Sweelinq 1.0 - Ein Testbericht in zwei Teilen
25 Sekunden Startzeit für eine Hybrid-Orgel
Das langwierige Upgrade meiner sog. Hauptwerk-Orgel hat mich
echt Nerven gekostet. Zugleich hat sich dieser Einsatz jedoch gelohnt. Ich
werde sie umtaufen müssen. Sie ist zu einer Art Hybridorgel geworden. Aber nun der Reihe nach.
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
Sweelinq Test Summary
3. Neben knackigen Attacks überzeugen jeweils passende Releases.
5. Die Software ist intuitiv zu bedienen. Das war mir seit Hauptwerk völlig neu.
6. Meine Orgel ist 25 Sekunden nach dem PC-Start dienstbereit. Ich übe mehr.
7. Das Preis-Leistungsverhältnis ist unschlagbar. Ich bin kein Fan von Abomodellen, aber dieses rechnet sich. Software-Upgrades inklusive.
8. Webshop und insbesondere Kommunikation haben noch gehörig Luft nach oben. (mpk)
Mein Upgrade ist abgeschlossen. Alles in Butter. Ja, so sagt man das in meinen Breitengraden.
Haushaltstechnisch komme ich mit den modularen Erneuerungen meiner PC-Orgel auf ca. 9.000 €. Zwei hochwertige
Studiomonitore von Nubert, ein neuer PC mit 128 GB RAM, neue Holzklaviaturen
von Fatar für den dreimanualigen MIDI-Block von Hoffrichter und deren
aufwändiger Einbau nebst konstruktiver Optimierung durch einen versierten
Fachmann, das alles schlägt zu Buche. Ich darf gar nicht nachrechnen, wie viel
da seit 2005 zusammenkam. Wenn ich es überschlage, sind wir sicherlich bei einem neuen Mittelklasse-Pkw. Viel Freude, mancher Kummer, aber insgesamt eine Bereicherung
im Leben eines ansonsten Sparsamen, dem die akustische Gnade eines Einzelhauses zuteil wurde.
Sweelinq-Abo als Abschluss des Orgel-Upgrades
Ich hatte mir ein verheißungsvolles Ziel gesetzt: Wenn das alles gegessen ist und die Orgel wieder funktionstüchtig in meinem Arbeitszimmer steht, dann gönne ich mir noch etwas. Zunächst hatte ich an ein neues HW-Sampleset gedacht. Aber die empfinde ich derzeit als entweder zu teuer oder zu mangelhaft. Mir fehlt da schlichtweg der Reiz.
So bot sich die Orgelsoftware Sweelinq mit ihren doch mittlerweile zahlreich inkludierten Sets an. Ein Jahr Sweelinq – mit vorausgehenden 14 Tagen Probephase – kostet derzeit 118 €uro. Ein im Vergleich zu allen vorausgegangenen Investitionen marginaler Betrag. Da kann nicht viel falsch machen. In der kostenfreien Betaphase hatte ich diesen neuen Sampler bereits getestet. Er hatte bei mir einen guten Eindruck hinterlassen, wenngleich ich mich nur für eines der beiden damals zur Verfügung stehenden Sets erwärmen konnte. Es war die sog. Bach-Orgel zu Dordrecht.
Intuitive Installation ohne Gebrauchsanweisung
Bereits zwei Tage vor der Anlieferung des reparierten und
verbesserten Hoffrichter-Spieltisches hatte ich mit einer Paarung aus Neugierde
und Ungeduld Sweelinq 1.0 und alle derzeit verfügbaren Sets im PC installiert. Als
der Download eines Sets einmal hakelte, entstanden keine Probleme, denn der
Betreiber Noorlander besitzt gute Mirrors, die außerordentlich fix
funktionieren. Die weitere Einrichtung war völlig stressfrei, die Software
erkennt die Swop- und Bin-Dateien der Orgelsets automatisiert, um die ich mir
fast einen Kopf gemacht hatte. Als Hauptwerk-Nutzer ist man es gar nicht mehr
gewohnt, dass etwas intuitiv und easy seinen Lauf nimmt. Wer an Hauptwerk schon
einmal verzweifelte, findet mit Sweelinq einen Softwaresampler vor, der ohne jegliche
Gebrauchsanleitung bedienbar ist.
Für mich stand vor allem die Frage im Raum, wie die Sets mit
den neuen Studiomonitoren von Nubert klingen würden. Das war etwas unwägbar.
Die alte Abstrahlung aus den Rundstrahlern von Reetze-Ahlborn und den zwei 2.1-PA-Syrincs
hatte sie angenehm erscheinen lassen. Die Nuberts sind jedoch mit ihrem
linearen Klang als sog. ehrliche Lautsprecher bekannt und können auch zuweilen
desillusionieren, wenn das Tonmaterial nicht optimal ist. Ich
war also gespannt.
Qualitätssprung
Die Nuberts offenbarten zum meinem Erstaunen hingegen Stärken. Je nach Set wohlgemerkt. Sie sind nicht nach einem Strickmuster. Man merkt: Da waren unterschiedliche Erfahrungsträger am Werk. Vor allem verdeutlichen die Studiomonitore, dass Sweelinq nach der Betaphase noch einmal ordentlich zugelegt hat. Die neueren Sets zeigen diesen Qualitätssprung sehr signifikant auf. Allen voran das Set der Boogaard-Orgel (IIIP/44) der Ichthuskerk zu Urk. Sowohl Einzelstimmen als auch Gesamtklang sind sehr gelungen und lassen vom Kammermusikalischen bis zur Grandezza eine beachtliche Bandbreite zu.
Kurzum: Manch dünkelhaft platziertes Hauptwerk-Set wird hier übertroffen. Mit Speichergrößen dagegen zu argumentieren, ist ein Trugschluss, der auch die Arbeitsergebnisse eines sog. HW-Premiumherstellers in Frage stellen würde, der für die sparsamen Speichergrößen seiner Sets bekannt ist. Dieser Vorhalt, der gerne in diversen Foren geäußert wird, führt gewiss in die Irre. Noorlanders Konzept recht trockener Einzelton-Stereosamples in Verbindung mit dem raumspezifischen Faltungshall geht auf; knackige Attacks und passende Releases überzeugen. So mancher Sampleset-Hersteller im Bereich Hauptwerk hat diese Technik angewandt, spricht aber nicht darüber.
Da wir jetzt den illustren Bereich der Authentizität berührt haben: Jedes Orgelset von Noorlander ist so individuell wie jede reale Orgel in ihrem eigenen Raum. Sweelinq-Orgelsets haben Charakter. Ganz besonderen Charme besitzen allerdings die beiden Sets „Dordrecht/Augustijnenkerk“ und „Westzaan/Grote Kerk“. Diese Vorliebe mag aber auch ganz meinem Geschmack zugeordnet werden. Ich musste feststellen, dass die Bandbreite der sich in Sekundenschnelle ladenden Sets bereits jetzt sehr ansehnlich ist. Die akustische Patina der Kampener Hinsz-Orgel mit dem spröden Charme der Kleuker-Orgel in l’Alpe d’Huez im Modell vergleichen zu können, steigert meine Spielfreudigkeit merklich. So wie es aussieht, wird die Klangbibliothek wachsen.
Brücke zwischen Analyse und Synthese
Mit ihrer Individualität unterscheiden sich die Sweelinq-Sets deutlich von Johannus‘ LiVE oder auch Kisselbachs Nobilia, deren Namen ich in diesem Zusammenhang mindestens ebenso amüsant empfinde wie die Veränderung des Namens Sweelinck. Um Hauptwerk, LiVE/Nobilia und Sweelinq etwas besser einordnen zu können, verwende ich gerne die Parameter „analytisch“ und „synthetisch“. Synthetisch verstehe ich im Sinne von „zusammenfügend“.
Während Hauptwerk eher analytisch vorgeht, was sich z.B. durch
die stets propagierte Dokumentationstümelei nachweisen lässt, denkt man bei
Johannus und Co. synthetisch und hat den Gesamtklang zuvörderst im Blick. Das
führt bei LiVE auch angesichts der hardwarebedingten Uniformität der Registeranzahl
zu einer etwas weniger ausgeprägten Individualität. Sweelinq versucht offensichtlich,
zwischen beiden Modellen eine Brücke zu schlagen. Als Softwaresampler ist
Sweelinq allerdings näher bei Hauptwerk als bei den Hardwaresamplern LiVE und
Nobilia zu verorten. In puncto intuitiver Bedienbarkeit liegen allerdings Lichtjahre
zwischen Sweelinq und Hauptwerk.
Ein erkennbar erschreckendes Beispiel für den Unterschied von analytisch und synthetisch verdeutlicht übrigens das Sampleset einer niederländischen Sampleset-Firma: Die weltberühmte historische Müller-Orgel zu Haarlem klingt im Hauptwerk-Format für viele Hörer wie eine neobarocke Flentrop-Orgel.
Buffer size 512
Ganz verstehen konnte ich zunächst nicht, dass man bezüglich der "Buffer size" lediglich eine einzige Einstellungsmöglichkeit zur Verfügung hat, nämlich 512 samples bzw. 10.7 ms bei 48 kHz. Mein PC würde (wie mit Hauptwerk und großen Sets) locker die Hälfte schaffen, also 256 samples mit 5.3 ms. Deswegen habe ich alle Orgelsets noch einmal durchgestestet. Mein Ergebnis war: Das ist vollkommen okay, spieltechnisch merkliche Latenz ist nicht feststellbar. Sie mag sich psychoakustisch suggerieren, wenn man die Rear-Klänge der Sets mit großem Kirchraum zu 100 % nutzt. Zur buffer size 512 habe ich übrigens das Folgende gefunden: „reasonable balance of sound delay vs. Polyphony and resilience to glitches/crackle“. Diese Worte stammen von Martin Dyde höchstpersönlich.
Eine ganze Buslänge
Zu guter Letzt ist eine besondere Stärke erwähnenswert: Das Windmodell von Sweelinq ist nach Aussage eines niederländischen Organisten, der auch HW-Samplesets erstellt, dem von Hauptwerk um eine ganze „Buslänge“ voraus. Ich habe es allerdings bei jeder Sweelinq-Orgel erheblich reduziert. Mit 40 bis 50 % reicht es immer noch sehr gut aus.
Meine bereits genannte Spielfreude hat auch etwas mit der Software an sich zu tun. Nach dem Einschalten des PCs steht für mich der Orgelklang bereits nach phänomenalen 25 Sekunden zur Verfügung. Da die Autostartfunktion diesen Wert vergrößern würde, stehen mir nach dem Erscheinen des Desktops beide Programme zur Auswahl: Hauptwerk 6 und Sweelinq 1.0. Meine Orgel ist zu einer Hybridorgel im besonderen Sinne geworden.
Meistens tippe ich auf das Icon von Sweelinq. (mpk)
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
Sweelinq aus der haushaltstechnischen und inflationsgeplagten Verbraucherperspektive
Summary:
Kalkulieren wir einmal in folgendem Zeitrahmen: Die Erfahrung
zeigt, dass Orgelsets spätestens nach fünf Jahren durch den technischen
Fortschritt oder die Hörermüdung beiseitegelegt werden. 589,45 € hatte man insgesamt in diesem Zeitraum der Firma Noorlander überwiesen. Nach derzeitigem Stand
kostet dann ein Sweelinq-Orgelset oder die Sweelinq-Software (inkl.
Updates/Upgrades) innerhalb von fünf Jahren 49,12 €. Wie gesagt: für fünf Jahre!
Die Summe von 589,45 € ist in Beziehung zu Hauptwerk zu setzen: Auf dem Hauptwerk-Markt ist derzeit die Vollversion von Hauptwerk 8 bei einem deutschen Händler in der etwaigen Bandbreite von ca. 640 bis 770 € Euro (inkl. Dongle etc.) zu erhalten. Hauptwerk erfährt seit der Version 5 in verkürzten Abständen kostenpflichtige Upgrades, die jeweils etwas im Preissegment eines Jahresabos von Sweelinq einzuordnen sind, allerdings – wie gesagt – ohne ein einziges neues Orgelset: Hauptwerk 5 – Nov. 2019, Hauptwerk 6 – Nov. 2020; Hauptwerk 7 – Jan. 2022 und Hauptwerk 8 – Aug. 2023. Man kann kaum umhin, darin ein kaschiertes Abomodell zu sehen.
Wer sich zudem bei Händlern nach weiteren Sets umsieht, wird
erstaunt feststellen, dass hochbetagte Sets mit Single-Releases immer noch für
mehrere hundert Euro zum Verkauf anstehen. Andererseits ist zu beachten, dass
User auf viele Orgelsets treffen, die für eine ältere Hauptwerk-Version
(insbesondere 4.2) nicht kompatibel sind. Eine grundsätzliche Ausnahme scheint
der Hersteller Sonus paradisi mit zahlreichen aktuellen und 4.2-kompatiblen
Sets darzustellen. Sein Unterfangen, den angegliederten Orgelsoftwaresampler
CeciliaVPO auf den Weg zu bringen, scheiterte unter bislang ungeklärten
Umständen und wirft Fragen auf.
PC-Kosten
Ein weiterer Unterschied und in der Wahrnehmung doch vernachlässigter Aspekt besteht in der deutlichen PC-Anspruchslosigkeit. Während neue Sets auf dem Hauptwerkmarkt immer mehr RAM und Prozessorkraft verlangen und 128 GB keine wirkliche Grenze mehr darstellen, begnügt sich Sweelinq mit sehr moderaten Standards. Das spart Geld. Der Verfasser dieser Zeilen hat sich übrigens seit dem Spielen mit Hauptwerk durchschnittlich alle 4,5 Jahre einen neuen spezifischen HW-PC angeschafft. Die Furcht mancher User vor der kurzen und alle vierzehn Tage notwendigen Verbindung mit dem Server von Noorlander ist indes rational nicht zu erklären und vielleicht ein Hinweis auf die Anfälligkeit ihrer Systeme.