Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601




Martin Werner und die "Berner Schule" -
dem Erbe Albert Schweitzers verpflichtet

Der Theologe Albert Schweitzer verließ Europa früh. Da er keine weitere universitäre Laufbahn eingeschlagen hatte, kam sein Werk (Jesus/Paulus/Kulturphilosophie …) nicht so zum Zuge, wie es wünschenswert gewesen wäre. Die Zäsur des Ersten Weltkrieges tat ein Übriges dazu. Durch die Vorherrschaft der "dialektischen" Theologie (im evangelischen Bereich) wurde zudem alles verdammt, was Liberalität assoziieren ließ.

Eine Ausnahme war die Schweiz. Dort hat die durch Martin Werner (1887-1964) begründete "Berner Schule" die Schweitzerschen Ideen aufgenommen und weiterentwickelt. Diese profunde theologische Facette ist in Deutschland weithin unbeachtet geblieben. Martin Werner geriet in Vergessenheit. Er blieb bis zu seinem Tod engster theologischer Freund Schweitzers, wovon der 2006 erschienene Briefwechsel der beiden zeugt.

Die folgende kleine Buchrezension widmet sich einem besonderen Opus des Schweizer Theologen.

Martin Werner: Wer war der Apostel Paulus?

Herausgegeben von Jochen Streiter - ISBN 978-3-95948-343-8 - Verlag T. Bautz Nordhausen
- 102 Seiten - broschiert - 10,- €

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Das Neue Testament hält unterschiedliche theologische Denkrichtungen bereit. Ohne Zweifel ist jedoch der besondere Einfluss des Apostels Paulus nicht zu übersehen. Ohne ihn wäre das Christentum keine Weltreligion geworden.

Paulus ist nicht leicht zu verstehen. Zielführende "Hinweise zum Verständnis der Person des Apostels, zum speziellen Charakter seiner Schriften und zu deren religionsgeschichtlichem Hintergrund" sind vonnöten, um Paulus auf die Schliche zu kommen. Der Autor Martin Werner erledigt diese Herausforderung mit Bravour.

Sachverhalte anschaulich auf den Punkt gebracht 

Der Inhalt des Buches entstand im Rahmen der übergemeindlichen Erwachsenenbildung und wurde von Werner erstmals 1963/64 als Artikelserie im "Schweizerischen Reformierten Volksblatt" veröffentlich. Es war ihm ein Anliegen – neben seiner Tätigkeit an der Universität –, Themen der Theologie auch mit interessierten "Laien" zu besprechen. Liebhaber von Fußnoten und Wortklingeleien werden also mitnichten bedient.

Insofern mag Martin Werner an den Münsteraner Philosophen Josef Pieper erinnern, der es ebenso verstand, komplexe Themen inhaltlich korrekt, didaktisch genial und intellektuell brillant darzustellen. Werner durchlief vor seinem Theologiestudium eine Ausbildung zum Primarlehrer. Das mag ihm - ungeachtet einer grundsätzlichen Begabung - gewiss geholfen haben, Sachverhalte anschaulich auf den Punkt bringen zu können.

Berner Schule als Kontrapunkt zur Dialektischen Theologie Karl Barths

Werner hatte über "Der Einfluss paulinischer Theologie im Markusevangelium" promoviert und begründete die liberal-theologische "Berner Schule". Sein Werk kann durch die folgenden Grundsätze gekennzeichnet werden: Offenheit des Denkens, Hochschätzung der Vernunft im Erkenntnisprozess, Anwendung der kritisch-historischen Methode und Skepsis gegenüber dogmatischer Orthodoxie.

Diese Voraussetzungen werden auch in seinem Paulus-Buch überaus deutlich. Der Autor berührt geschichtliche Fragen ebenso wie die Bedeutung des Paulus für Christen im Hier und Heute:

I. Die Briefe des Apostels Paulus
II. Die Apostelgeschichte als Quellenbericht über Paulus
III. Der Lebensgang des Paulus
IV. Paulus als Persönlichkeit
V. Die Eigenart des Christusglaubens des Paulus
VI. Die Bedeutung des Christusglaubens des Paulus für uns

Zur Befreiung berufen 

Vielleicht kann man dieses Paulus-Buch derart zusammenfassen: Werner vermag - mit Hilfe seiner durch aufklärerische Vitalität determinierten Hermeneutik - bei Paulus den jesuanischen Geist der Freiheit zu unterstreichen. Nicht ohne Grund beendet der Autor das Buch mit einem programmatischen Wort des Paulus: "Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen!"

Verdienstvolle Neuauflage eines nach wie vor aktuellen Buches 

Der Herausgeber und Wuppertaler Theologe Jochen Streiter steuerte der Neuauflage des Buches über die behutsame stilistische Bearbeitung hinaus eine achtseitige und zugleich eindrückliche Biographie Martin Werners bei. Sie wartet mit zahlreichen Details auf, die die theologiegeschichtlichen und inhaltlichen Zusammenhänge des Spannungsfeldes Werner, Schweitzer und Barth im Zusammenhang von Pfarramt, Universität und Erwachsenenbildung instruktiv darlegt.

Die honorige Initiative Streiters, dieses der Aufklärung verpflichtete Opus wieder unter die Leute zu bringen, verdient Beachtung. Mit anderen Worten: Die Lektüre ist wärmstens zu empfehlen.  (25.02.2020/mpk)


                                                                                                                         

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