Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601





Zeit der Polylemmata - Die Corona-Krise als Grenzerfahrung und Unterbrechungsereignis

Wir spielen alle mit - wie in einer Netflix-Dystopie. Unfreilwillig. Eine miese Mikrobe setzt unser gewohntes Leben völlig außer Kraft. Wir stellen fest, dass es sehr brüchig ist. Alles ist völlig aus dem Lot. Der Einkauf von Toilettenpapier und Hefe wird ebenso zum Gewinnspiel, wie ein leichtes Husten des Nächsten hochsensibilisiert als dräuendes Fatum wahrgenommen wird. Zynische Corona-Partys gerieten zur von nicht nur rotzigen jungen Erwachsenen unerkannten Form des russischen Roulettes für sie und andere. Die Jüngeren werden realisieren müssen, dass sie Verantwortung tragen.

Es kann jeden treffen, es gibt keine Garantie auf einen guten Ausgang. Die Corona-Krise hat insofern etwas Egalitäres. Der gesellschaftlich Erfolgreiche bemerkt diese Gleichrangigkeit konkret durch die Ausgangsbeschränkungen. Zunächst kann er sich mittels "Unterschicht liefert Pizza für Reüssierte" sedieren. Die Gefahr, völlig einsam sterben zu müssen, besteht jedoch für alle. Im Theater mit dem realisierten Drehbuch des surreal Geglaubten hat sich ein jeder mit dem Thema seines eigenen Todes auseinanderzusetzen.

Virtuelle Realpräsenz mit anständigem Abstand

Matthäus 18,20 - eher bekannt unter "Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen" - erhält indes eine ganz neue und zynische Färbung, denn das Corona-Virus scheint sich diese Aussage hochinfektiös zu eigen gemacht zu haben. Die Dinge kehren sich um.

Bilder flackern im Corona-Kopfkino auf: Pest, Spanische Grippe, Apokalypse, Wirtschaftskrise mit Pleitewellen und Arbeitslosigkeit – alles ist dabei, was unsympathisch ist. Selbst Kirche – mit dem Selbstverständnis einer Communio Sanctorum und für viele noch restbeständiger Notausgang für private Krisen jedweder Art – entrückt via Fernsehen und Internet in eine ausschließliche virtuelle Realpräsenz. Das Glockenläuten um 19.30h wirkt wie eine akustische Photographie im Sepialook.

Seit der Christianisierung des Abendlandes hat es das noch nicht gegeben: Sogar in der Heiligen Woche fallen besuchbare Gottesdienste flächendeckend aus. Soziale Distanz paart sich mit ekklesialer Ferne. Der Abstand wird zum Anstand und ein Bildschirmgottesdienst zum Trost. Eine Frage stellt sich dennoch: Ist das alles ein Jammern einer inflationär benannten Zivilgesellschaft, die Ausnahmesituationen schlichtweg nicht mehr kennt?

Extinction Rebellion ohne Apokalypse 

Die Corona-Krise lässt auch wie gesagt hier und dort ein Kopfkino-Shortcut namens Apokalypse aufflackern, so auch bei der Klima-Sekte Extinction Rebellion, was nun nicht wirklich verwundern muss, da Endzeitstimmung zum Label dieser Gruppierung gehört. Derzeit sind aber in diesen Kreisen offenbar noch heftigere Sätze zu finden, die die Metaphorik einer ganz anderen Art zu bedienen scheinen:

"Earth is healing.
The air and water is cleaning.
Corona is the cure.
Humans are the disease!"

Es ist festzustellen, dass - über eine menschenverachtende Prämisse hinaus - diese Sichtung nicht das Verständnis der biblischen Apokalypse widerspiegelt. Man reiht sich ein in den Chor derjenigen, die "Apokalypse" grölen, aber nicht recht verstanden haben und das Geschehen auf Vernichtung ohne Sinn lustvoll verkürzen. Biblisch betrachtet bedeutet Apokalypse hingegen, dass Gott Gerechtigkeit widerfahren lässt und ein Friedensreich errichtet. Er rettet.

Ergo: Extinction Rebellion hat zumindest sachlich den eigenen Markenkern nicht reflektiert und vulgär verkürzt.



Menschen im Maschinenraum der Gesellschaft: Wer ist wichtig?

Gewiss kann eines vorausgesehen werden: Für die Corona-Krise wird eine Doppelseite der zukünftigen Schulgeschichtsbücher reserviert werden, unsere Gesellschaft verändern und viele Spannungsfelder zumindest mit aufgefrischten Vernunftproportionen neu betrachten lassen. Hatten noch gestern Kommunen Klimanotstände in aller gutgemeinten Beflissenheit ausgerufen, so bemerken sie heute, was denn das Wort Notstand de facto überhaupt bedeuten kann. Eine Gesellschaft entdeckt auf Leben und Tod, was und wer wahrhaftig wichtig ist. Und das kann die Kassiererin beim Discounter ohne wirklichen Sicherheitsabstand sein, die ebenso das Bundesverdienstkreuz erhalten sollte wie die Krankenschwester, die bis zum Anschlag hochgefährdet schuftet. Das nur dazu, wenn wir schon dabei sind, eine Gesellschaft auf die Kategorie Leistung zu verkürzen.

Heroische Humanitas


Der 78-Jährige braucht mit seiner Aussage (ab Minute 1:30) nicht kommentiert zu werden. Der Reporter irrt hingegen gewaltig, es ist kein "heroischer Fatalismus", sondern außerordentliche humanitäre Proexistenz.



Pas de Danse Macabre: Was man außer abzuwarten und Tee zu trinken tun kann

Einkaufsdienste für Ältere und Telefonate gegen die Einsamkeit sind gut. Die allgemeine Entschleunigung und Komplexitätsreduktion stellt jedoch noch weitere Zeit zur Verfügung, die zu nutzen auch wieder gelernt sein will. Dazu ein Tipp persönlicher Art.

Am 20. März stand Folgendes in den Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine, die ich täglich per Mail erhalte: "Der HERR deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes." Der Passus stammt aus Psalm 27,5. Meine Gefühlslage äußerte sich zunächst am Flügel und musste daraufhin in die Notenform transformiert werden. Danach schaute ich mir den ganzen Vers 5 an. Ich würde ihn so formulieren: "Er birgt mich in seiner Hütte an schlimmen Tagen, er beschirmt mich im Schutz seines Zeltes und hebt mich empor auf einen Felsen." Da ist sehr viel Ostern drin: Dunkelheit, Vertrauen, Schutz und Rettung.   

Der Titel des Opusculums lautet: "Pas de Danse Macabre - Liturgisches Rondo zu Psalm 27,5 für ein Tasteninstrument". Vielleicht kann der eine oder andere mit dieser musikalischen Petitesse etwas anfangen. Der Titel ist übrigens eine kleine Wortspielerei, die mindestens drei Inhalte zum Besten gibt. Es ist die Frage, ob "Pas" als Nomen oder als Adverb verstanden wird. Die Faktur des Notensatzes wurde mit Absicht so gestaltet, dass sich das Spielstück an Tasteninstrumenten unterschiedlicher Art gut darstellen lässt. Eine einfache Pedalstimme ist integriert und ad libitum zu spielen, falls man die Orgel wählt.


"Er birgt in seinn Haus mi, wenn Gfaar droot. Er schirmt mi in n Zeltt." In diesem (bayerischen) Sinne: Bleiben Sie gesund und zuhause! Singen Sie, spielen Sie Klavier oder Hausorgel!  (mpk/19.4.2020)

++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Weitere Tipps finden Sie insbesondere hier:




Archivseiten zum Stöbern  --->>>  hier klicken!  

                                                        

                                                                                                                         

zurück