Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

  

                                                                                                                                                                                                                                                                                   

Hans Küng, Herbert Vorgrimler und die Aufsässigkeit    
                                                                                                                             Gar keine Frage: Hans Küng kann schreiben - und wie! Spannend, umfassend informativ und persönlich aufrichtig. Es ist eine Lust, seine mehr als zahlreichen Zeilen zu lesen, um einmal Ulrich van Hutten sinngemäß miteinzubinden.

Freilich wäre es eine Verkennung der Textsorte "Autobiographie" zu meinen, dass ein derartiges Unterfangen gänzlich ohne Selbstdarstellung und Polemik geschehen könnte. Küng schreibt mit bestem Erinnerungsvermögen oder zumindest sehr präzisen Aufzeichnungen. Denn erstens ist ihm seitens der sog. Amtskirche zu übel mitgespielt worden und zweitens bleibt eines bei allen ausgesprochenen Wertungen recht deutlich: Küng kennt sich und die Partner im theologisch-kirchenpolitischen Streit nur zu genau. Sich und die Antagonisten weiß er differenziert und reflektiert darzustellen. Dass ihm, dem Theologie-Professor "ein journalistischer Stil" aus rückwärtsgewandten Kreisen nachzusagen versucht wird, zeugt eher vom akademischen Neid des bekannten didaktisch-universitären Unvermögens und bestätigt seine eloquente Kunst nur umso mehr.  

Küngsche Hybris aus der Provinz?

Küng schreckt keinesfalls davor zurück, in oft sympathischer Weise für sich Partei zu ergreifen. Aber er scheint immer wieder zum Perspektivwechsel und zur weiteren Differenzierung fähig. Das gilt sowohl für den inkonsequent, ja irgendwie tragisch erscheinenden Karl Rahner als auch für Joseph Ratzinger (nach dem Gang durch die Institutionen dann "B 16"), dem er bei aller Unterschiedlichkeit gerecht zu werden sich bemüht. Gleichwohl wirkt sein Aufrechnen mit Ratzinger hin und wieder auch etwas überheblich und wenig angebracht. Hier läuft es dann leider auf die konstruierte Hybris folgender Art hinaus: betuchte Schuhhändlerfamilie der Schweizer Provinz mit Hans im Glück vs. kleinbürgerliche Gendarmenfamilie aus Oberbayern mit hochbegabtem Joseph  

Herbert Vorgrimler, Theologie ist Biographie. Erinnerungen und Notizen. Aschendorff Verlag 2006, ISBN 3402004232

Hans Küng, Erkämpfte Freiheit. Erinnerungen. Piper Verlag 2004, ISBN 3492241352

Hans Küng, Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen. Piper Verlag 2009, ISBN 3492253873 

Herbert Vorgrimler und die Küngsche "Aufsässigkeit"  

Bezogen auf den Beginn der Küngschen Jahre zu Tübingen schrieb Eberhard Jüngel in der FAZ: "Die exegetische Begründung theologischer Behauptungen und kirchlicher Ansprüche wird Küng von seiner eigenen Kirche nunmehr penetrant einfordern." Und damit kommen wir angesichts dieser diagnostizierten Penetranz auch auf das Werk "Theologie ist Biographie" des emeritierten Münsteraner Kollegen Herbert Vorgrimler zu sprechen. Erstaunlich ist, dass der Theologe Vorgrimler den Theologen Küng lediglich an einer einzigen Stelle in inhaltlicher Form erwähnt. In einem Halbsatz wird Küng schlichtweg der "Aufsässigkeit" bezichtigt. 

So kann es kommen. Der Rahner-Schüler Vorgrimler, der durch die perfide Selbstgerechtigkeit eifrig konservativer bis radikaler Katholiken und deren Seilschaften über Jahrzehnte immer wieder zu leiden hatte, erkennt nicht die treue Geradlinigkeit des Schweizer Theologen, der seinen Weg stringent gegangen ist. Wahrscheinlich spielt in diese sehr wertende Zuschreibung durch Vorgrimler eine unausgefochten erscheinende Auseinandersetzung zwischen Küng und Rahner hinein. Vielleicht ist es aber schlichtweg ein Mentalitätsunterschied.     

Ratzingers Gesinnungswandel? 

Der gescholtene Schweizer Kollege kreist neben vielen anderen Inhalten selbstverständlich auch um die Frage: Hat sich Ratzinger im Laufe der Jahre verändert? Küng neigt eher zum Ja und erklärt dieses mit dem purpur-süßen Gift kirchlicher Karrieren. Zweifelsohne wirkt dieses Mittel in anderen Fällen ebenfalls recht vernehmlich, mag das berufliche Fortkommen des Betroffenen auch noch so marginal sein. Aber das nur nebenbei. Küng erwähnt die widersprechenden Thesen seines Schülers Hermann Häring, der bei Ratzinger nach eingehenden Studien eher von Anbeginn die Konstante einer verklärten Phase der frühen Kirche festzustellen vermag, die zu Anfang seiner Laufbahn allerdings noch innovativ erschien.

Es ist müßig, hier über die größere Wahrheit zu spekulieren, denn dazu ist das Leben samt seinem Vollzug zu komplex. In allem scheint Folgendes festzustehen: Ratzinger verabsolutiert den Eintritt des Christentums in die hellenistische Gedankenwelt mit einer gewissen subjektiven Auswahl und widmet sich dekadenztheoretisch dem anscheinend relativistisch einherschreitenden Zeitgeist, dem er immer wieder seufzend und zugleich wetternd die Leviten zu lesen versucht.
                                                                                                                      Sigrid Loersch, Kaplan Tebartz-van Elst und ein David Berger jener Tage   

Küngs Rolle während des II. Vatikanums erscheint spannend und interessant. Und das macht den Unterschied zu Vorgrimler aus: Während Hans Küng durch die Welt reist, in den Medien wie ein Star gefeiert wird, verbleibt Herbert Vorgrimler weitgehend innerhalb der Mauern des Theologischen - bienenfleißig und im Schatten Karl Rahners. Irgendwie ganz vorne und doch in der zweiten Reihe.

Vorgrimlers weitere Lebenswegdarstellung stellt in besonderer Weise den deutschen theologischen Fakultätsalltag einer Bischofsstadt in Verbindung mit sehr Persönlichem dar. Mit Erfolg beginnt man in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts den Mittelteil des Knotens "Schwarz, Münster, Paderborn" zu lösen. Hier hat Vorgimler als Dekan tatkräftig und nachhaltig mitgewirkt.

Wir begegnen in den detaillierten Schilderungen Persönlichkeiten wie der Alttestamentlerin Sigrid Loersch, dem damaligen Münsteraner Bischof Reinhard Lettmann, der auch einmal selbst am Steuer eines Pkw sitzt und bestrafterweise zu schnell fährt, oder der versammelten deutschen Theologie-Professorenschaft, die mit all ihren sympathischen Stärken oder zuweilen vernehmlich gehässigen Schwächen skizziert wird. Freilich darf auch bei Vorgrimler - sicherlich abseits des Universitätsmilieus - der damals wohl arg konservative und heute ob seiner Metamorphose ganz gewiss zahlreiche Fragen aufwerfende David Berger (mitsamt der Zeitschrift "Theologisches") nicht fehlen. 

Die eindrücklichen Schilderungen unangenehmster Anfeindungen zeugen von einer unverheilten Verletztheit Herbert Vorgrimlers und gewähren zum Teil sogar indiskret erscheinende Einblicke in die Realitäten eines christentümlichen Alltags bildungsbürgerlichen und klerikalen Zuschnitts.  

Erstaunlicherweise erfährt der spätere Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst durch Herbert Vorgrimler eine sehr wohlwollende Darstellung, die sich gleichwohl auf die 80er Jahre bezieht. Tebartz-van Elst wird als Freund bezeichnet. Vielleicht ist diese ungewöhnlich positive Bewertung (ungeachtet aller Dialektik von Medienereignissen und grundsätzlichen Persönlichkeitsdispositionen) ein Fingerzeig auf die Verformbarkeit von Menschen durch Funktionen und beantwortet so auch zumindest einen Teil jener Frage, ob sich denn Joseph Ratzinger verändert hätte.   

Die Entscheidung Vorgrimlers, selbst im hohen Alter in einem großen Münsteraner Klinikum ehrenamtlich als Seelsorger tätig zu sein, gebietet Achtung und Respekt; sie bewahrheitet: Theologie ist Biographie.    

Conclusio  

Das insgesamt intimere Zeugnis liefert freilich Herbert Vorgrimler. Es besitzt Größen, die einem erst im Nachhinein aufgehen. Das Werden und Wachsen im spirituell durchaus pluriformen Freiburg der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre ist in seiner Darstellung die große Stärke seines Buches. Eine zweite kommt hinzu: Die Feinarbeit im mühevollen Fakultätsalltag, die Kämpfe hinter den Kulissen, die Freundschaften und Konfliktpartner, all das kann Vorgrimler recht prägnant und  zugleich auf warmherzigem Wege vermitteln, wenngleich auch eine gewisse Bitterkeit den Leser an einigen Stellen etwas verstört zurücklässt.                                                                                                                               
Die analytische Sichtung der theologiegeschichtlichen Zusammenhänge wird in Hans Küngs Bänden als gut gebündelte Synopse deutlich. Kurzum: Wer sich beispielsweise über kirchenpolitische Strömungen, theologische Zusammenhänge und repräsentierende Fakten des II. Vatikanums - in einer ausgesprochen analytischen und zugleich unterhaltsamen Weise - seriös informieren lassen möchte, der kommt um die Küngschen Seiten nicht herum.  (mpk) 
                                                     

Prof. Dr. Herbert Vorgrimler verstarb am 12.09.2014 im Alter von 85 Jahren in Münster. R.I.P. Aus diesem Grunde wurde der Inhalt dieser Seite nach erneuter Lektüre noch einmal umfänglich ergänzt.                                                                                    

                                                                                                                         

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