Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   


Passau, "der Dom macht Kindern Angst" und die guten Orgel-Alternativen ...

Das Fazit meiner kleinen Orgelreise sei vorangestellt: Passau enttäuschte ein wenig - anderes beindruckte hingegen ungemein. Eine Reise in diesen Distrikt lohnt sich, da es dort vieles zu entdecken gibt.  

Die Passauer Neue Presse schrieb unlängst, dass es äußerst schwierig sei, Ministranten für den Dienst am Dom zu rekrutieren. Es wohnten kaum noch Familien im Dompfarrbereich, zudem sei in der Liturgie lediglich "Laufkundschaft" zu sehen und der Dom mache Kindern ohnehin Angst. Nun, das soll weder in theologisch-liturgischer noch in kirchenpolitischer Hinsicht kommentiert werden, weil es selbstredend ist. Architektonisch sind diese Beklemmungen fast deckungsleich mit eigenen Eindrücken: barocke Friedhofskapellen-Hypertrophie bis hin zur nicht nur visuellen Aspiration - und das gepaart mit einem nahezu konsequent musealen Musikbetrieb. Einmal sprachlich ungeschönt: Das im Tempel-Musikmanagement perfekt gestylte "Klangwunder Domorgel" (O-Ton) tat sich mitnichten auf. Selbst mit Franz Lehrndorfer nicht, was vermutlich insbesondere an Josef Rheinberger lag, für dessen Rezeption - mutatis mutandis - Antidepressiva kostenfrei bereitgestellt werden sollten. Freilich sollte man es auf jeden Fall einmal selbst wahrgenommen haben, um sich ein eigenes und vielleicht auch ganz anderes Urteil bilden zu können.

Stift Zwettl lässt nun immer wieder herzlich grüßen  

Es war recht tröstlich, in allernächster Nähe doch beeindruckend authentische Quellen vorzufinden: so in der ehem. Vornbacher Abteikirche (bei Neuburg am Inn). Hier steht die nun frisch restaurierte Egedacher Orgel. Das Stift Zwettl grüßt.                                  Freilich besteht hier auch die Gefahr, sich lediglich dem historischen und musealen Musikbetrieb zuzuwenden. Vornbach mit seiner wiedererstandenen Egedacher-Orgel bezieht jedoch spürbar die überzeugendere lebensbejahende Farbe des architektonisch bereitgestellten Lichtes und die gewachsene Struktur einer kleinen identifizierbaren und engagierten Ortsgemeinde mit ein, die sich "am Tisch des Herrn versammelt": im Gegensatz zur auswechselbaren episkopalen Sacro-Betriebsamkeit des vom Freistaat Bayern finanzierten Passauer Domes ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Die warme und transparente Fülle der Egedacher-Orgel begeistert, und ich bin überzeugt davon, von ihr immer wieder in der Orgelszene zu hören. Gewiss gehört sie zu den in den nächsten Jahren wiederzuentdeckenden Juwelen restaurierter Instrumente. Im lukullischen Kontext und zugleich polemisch gesprochen: Passau ist wie gleich dreimal Sachertorte mit zweimal Schlagobers, hingegen erscheint Vornbach mit der Egedacher Orgel als G'röstel nebst Vollwertkostsalat nach superber Tagessuppe im Sinne einer reflektierten Nouvelle Cuisine.     

Disposition der Egedacher Orgel                                                                   der ehem. Abteikirche Vornbach bei Neuburg am Inn:      

Johann Ignaz Egedacher 1732                                                                                 restauriert durch Orgelbau Kuhn AG, Männedorf (Schweiz), 2008–09

II. HAUPTWERK  CDE–c3
1. Principal 8'
2. Coppel 8'
3. Gamba 8'
4. Octav 4'
5. Quint 2 2/3'
6. Superoctav (1957 Eisenbarth) 2'
7. Mixtur 5f. 2'
8. Cimbalum 3f. 1/2'

I. OBERWERK  CDE–c3
1. Coppel 8'
2. Principal 4'
3. Flöten 4'
4. Superoctav 2'
5. Duodecima (1957 Eisenbarth) 1 1/3'
6. Mixtur 3f. 1'

PEDAL  CDE–g°
1. Violon (1828 Ehrlich) 16'
2. Subbass 16'
3. Principal 8'
4. Octav 4'
5. Mixtur 5f. 2 2/3'
6. Cimbalum 3f. 1'

Tremulant auf das ganze Werk (2009 hinzugefügt)
Nachtigall (2009 hinzugefügt)
Mechanische Schleifladen
Schiebekoppel II-I  
Gebrochene Oktave (kurze Oktave, die Obertasten D und E geteilt zur Aufnahme von Fis und Gis)
Pumpende Balganlage (2009) mit 4 Keilbälgen und Kalkantenanlage

zitiert nach: Ars Organi 2009 Heft 4 (redaktionell überarbeitet)
                                                                         

Lachmayr-Orgel              in St. Florian am Inn   

Nach dem Gigantismus Passaus und dem Egedacher Kleinod kommen wir nun zu einem etwas traurig stimmenden Objekt, das eine gewisse Spannung bei der Erkundung erzeugte: Es sollte über die Landesgrenze hinweg einen kleinen Ausflug zur Lachmayr-Orgel in St. Florian am Inn geben, auf deren Wert hier im Orgeljournal Roger Sohler bereits aufmerksam machen konnte. Der Blick auf die Orgelempore desillusioniert wahrhaftig ebenso wie der Blick auf den Spieltisch. Es hat sich hier leider nichts getan. Das bedeutende Instrument verrottet weiterhin. Spielen die Befürworter eines völligen Neubaus bzw. Gegner der Restaurierung auf Zeit? Gespräche im Dorf zeigten zwar auf, dass man sich über die Wertigkeit dieser historischen Orgel im Klaren ist, aber die zielführende Motivation zur Instandsetzung nicht hinreicht. Warum? Ein Erklärungsversuch bietet sich an: Die Orgel gibt doch noch - mehr recht als schlecht - unter den Händen von zwei jungen Organisten Töne von sich. Die Brisanz der Angelegenheit liegt in der Tyrannis der Zeit: "In 10 Jahren wird sich das Instrument wohl nicht mehr retten lassen." (Roger Sohler)   

Zu guter Letzt 

Alle Ziele sind von Neuburg am Inn aus zu Fuß sehr gut erreichbar. Dabei wird vorausgesetzt, im ruhigen Tempo jeweils zwei bis drei Stunden wandern zu können. Die Fußwege verlaufen entlang dem Innufer. Diese sind selbstverständlich auch sehr gut mit dem Fahrrad zu befahren. Dabei ist der Weg auf der deutschen Seite zum größten Teil bewaldet und somit beschattet. Der Rückweg kann ggf. mit öffentlichen Verkehrsmitteln bequem angetreten werden, was jedoch die Endorphine nach dem zum Schluss zu bewältigenden Aufstieg aus dem Tal weniger freizusetzen vermag.  (mpk)                                                    

  Weitere Fotos sind in diesem YouTube-Clip zu sehen.

                                                                                 

                                                                                                                          

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