Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

 

                                                                                                                                            

Orgelbauer, tu Gutes und sprich darüber! - Marginalien zum soziologisch zu betrachtenden Instrument Orgel 

Gedanken zum Brandbrief des Kreises „Pro organo pleno“ über die vermehrte Auftragsvergabe deutscher Kirchengemeinden an Orgelbauer jenseits der Landesgrenzen       

Harte Zeiten hat der deutsche Orgelbau bereits hinter sich, härtere Zeiten stehen ihm bevor. So mancher Orgelbauer wird in den nächsten Jahren „freigesetzt“ werden, wie es so beschönigend im Sprachgebrauch der Aktiengesellschaften heißt. Die Entwicklung der Kirchen scheint voraussehbar zu sein. Schrumpfungsprozesse allerorten.

Umso mehr stellt die neue gesellschaftliche Situation für potente Gemeinden mit erhöhter sozialer Selbstwahrnehmung eine Gelegenheit dar, Profil zu zeigen und sich milieuspezifisch abzugrenzen. Der Orgelneubau durch eine religiöse Gemeinschaft definiert sich somit nicht nur musikalisch, sondern auch in zunehmenden Maße soziologisch. Gerhard Schulzes Erlebnisgesellschaft und Pierre Bordieus Distinktionssichtungen lassen herzlich grüßen.

Ein möglicherweise konkretes Beispiel sozialer Distinktion sei hier genannt (Angaben lt. Internetauftritt). Die beiden in etwa zeitgleich gebauten Orgeln liegen ca. 35 Kilometer voneinander entfernt:

Neue Goll-Orgel der Pfarrgemeinde Liebfrauen in Hamm - 52 Register - Kosten: 1.05 Millionen Euro (Goll/Luzern)

Neue Späth-Orgel der St. Petri-Gemeinde in Soest - 47 Register (+ 3 Trans.) - Kosten: 720.000 Euro (Späth/Freiburg)

Der Einwand, dass markenbedingte Aufpreise ohne qualitative Begründung bereits früher existierten, ist zulässig. Freilich trägt er nicht dem Umstand Rechnung, dass das Phänomen Volkskirche im „alten Europa“ zunehmend als Phänomen Konkursverwaltung verblasst und derlei Mehrinvestitionen gesellschaftlich fraglich bis grotesk erscheinen lässt, wenn häufig in nächster Nähe Kirchenmusik trotz aktiven Gemeindelebens bis zur Verwahrlosung zusammengestrichen wird. Offensichtlich ist ein mobilisierbares Spendenpotential vorhanden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es wäre töricht, hier angesichts des Mitgliederschwundes nicht grundsätzlich auf die dynamische und kreative Kraft des Hl. Geistes zu vertrauen!  

Bedauerlich scheint insgesamt zu sein, dass mancher deutsche Orgelbauer auf diese verschärfte Situation leerer Kassen bei gleichzeitiger Betonung des mitunter snobistisch anmutenden Orgelbau-Markenfetischismus wenig vorbereitet und auch zumindest in Ansätzen überrannt wirkt. Vermehrte repräsentative Auftragsvergaben an Konkurrenten jenseits der Landesgrenzen wirken dann umso schmerzlicher. Und genau vor diesem Hintergrund ist der genannte Brief zu sehen.

Zwei Möglichkeiten des Vorgehens liegen auf der Hand:

1. Tacheles auf oberster Verbandsebene unter Einbezug kirchlicher Leitung (Gleiches Recht für alle!)
2. Forcierte Reflexion und Darstellung des eigenen Markenprofils

Die Diktion des Briefes lässt allerdings darauf schließen, dass der erste Ansatz wenig von Erfolg gekrönt sein muss. Fast klingt es so, als hätte diese Strategie bereits mehrmals erfolgreich ins Abseits geführt. In jedem Satz wird über den Rest-Mut hinaus, ein derartiges Schreiben anonym zu verbreiten, die letztlich kontraproduktive Hilflosigkeit gegenüber den Entscheidungsträgern bitter deutlich.

So könnte der zweite Ansatz umso dringlicher werden: Orgelbauer, tu Gutes und sprich darüber!  (mpk)   
                                                                                                                                           

                                                                                                                        

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