Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601   

                                                                          

         

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 

Die Johann-Patroclus-Möller-Orgel in der ehemaligen Benediktiner-Abteikirche Marienmünster  

Von Prof. Dr. Christian Ahrens   

Zur Geschichte der Orgel 

Die Orgel in der Abtei Marienmünster mit 42 (heute: 42+2) Registern auf drei Manualen und Pedal wurde 1736-38 von Johann Patroclus Möller (1698-1772) aus Lippstadt, einem der berühmtesten Orgelbauer der
Region, errichtet. Sie trat an die Stelle eines kleineren, 1677-79 erbauten Orgelwerks von Andreas Schneider (ca. 1646/47-1685) aus Höxter, das dann verkauft und 1737 in die Klosterkirche zu Brakel-Gehrden umgesetzt wurde. Auch für die Orgel in Marienmünster hielt Möller am Prinzip der altertümlichen Springladenkonstruktion (je zwei Springladen für Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal) fest; das Brustwerk hatte eine Schleiflade, die noch heute existiert. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Orgel zwar immer wieder repariert und in Teilbereichen auch erneuert, doch blieben wesentliche Bauteile trotz aller Eingriffe erhalten. Die originalen Pfeifen mit einem Bleianteil von ca. 99,5% sind überwiegend in einem guten Zustand, Bleifraß beispielsweise zeigt sich nur ganz vereinzelt.                                                                                                                         

Möllers Werk in Marienmünster ist nicht die größte historische Orgel Westfalens und sie besitzt auch keine Springladen mehr – diese wurden bei einer Restaurierung 1920/21 zu Schleifladen umgebaut. Dennoch ist sie ein außergewöhnliches, unvergleichliches Instrument. Immerhin steht sie noch immer an ihrem Platz in jenem Raum, für den der Erbauer sie seinerzeit konzipiert hatte; ihr Prospekt ist weitgehend original erhalten, es gibt keinerlei substantielle spätere Zutaten; rund 80% ihrer Pfeifen stammen von Möller, an ihnen erfolgten im Laufe der Jahrhunderte, verglichen mit anderen Orgeln der Region, nur wenige gravierende Eingriffe. Damit ist sie eines der am besten erhaltenen Zeugnisse des barocken Orgelbaus in Westfalen.                                                                                                                       

Die letzte grundlegende Restaurierung erfolgte 1966 durch die Firma Franz Breil, Dorsten, unter der Leitung des damaligen Orgelsachverständigen des LWL Münster, Prof. Dr. Rudolf Reuter (1920-1983). Sein Bestreben war es, alle späteren technischen Zutaten, insbesondere jene, die bei der Restaurierung 1920/21 durch die Firma Anton Feith, Paderborn, eingebaut worden waren, zu entfernen und den
vermuteten ursprünglichen Zustand, auch in Bezug auf die Disposition, zu rekonstruieren (der Orgelbauvertrag existiert nicht, daher fehlen authentische Dispositionsaufzeichnungen aus der Bauzeit). Bei der Vorbereitung der jetzt abgeschlossenen Restaurierung erwies sich eine Quelle, die R. Reuter seinerzeit für problematisch hielt, als bedeutsam und höchst aufschlußreich: die Dispositionsaufstellung und Beschreibung der Orgel, die der Lehrer und Organist Albert Bollens (1816-1894) 1880 anlegte. A. Bollens spielte die Orgel von 1843 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1890. Er hat sie auch technisch betreut, gewartet und in geringem Umfang repariert.

71 CD-Minuten mit Möller, Marienmünster, Bach & Co.:

Die Johann-Patroclus-Möller-Orgel in Marienmünster

Es spielt Gerhard Weinberger an der restaurierten Orgel  

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750): Toccata et Fuga d-Moll („Dorische“) BWV 538 Toccata 5:07 - Fuga 7:21 - Sinfonia F-Dur nach BWV 156/1 und 1056/2 2:14 - Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788): Duetto D-Dur für zwei Flöten (Mäßig geschwind) 1:33 - Duetto C-Dur für zwei Clarinetten (Adagio e sostenuto – Allegro) 6:28 - Heinrich Nikolaus Gerber (1702 – 1775): Inventio G-Dur à 2 Clav. et Pedal 1:52 - Inventio C-Dur à 2 Clav. et Pedal 2:03 - Johann Sebastian Bach: Trio C-Dur nach BWV 1014/3 2:57 - Concerto d-Moll BWV 974 nach dem Concerto d-Moll für Oboe, Streicher und Basso continuo von Alessandro Marcello Andante 3:16 - Adagio 3:35 - Presto 4:47 - Nun komm, der Heiden Heiland à 2 claviers et pédale BWV 659 4:14 - Wachet auf, ruft uns die Stimme à 2 Clav. et Pedal BWV 645 3:58 - Valet will ich dir geben à 2 Clav. et Pedal nach BWV 95/3 2:05 - Ich bitte dich, Herr Jesu Christ à 2 Clav. et Pedal nach BWV 166/3 2:46 - Ach, wie hungert mein Gemüthe à 2 Clav. et Pedal nach BWV 180/3 3:51 - Passacaglia c-Moll BWV 582 12:24 - Gesamtspielzeit: 71:00

Link zur CD mit Hörbeispielen    

Link zu weiteren CDs des Labels TYXart mit Hörbeispielen    

Link zur Reihe Chromart Classics von TYXart (Herstellerseite) 

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- MuTh-Rezension der CD "Gerhard Weinberger - Die Johann-Patroclus-Möller-Orgel in Marienmünster" - Label TYXart:  Keine Frage: Weinbergers Spiel an dieser umfassend restaurierten westfälischen Orgel von 1738 mit einem erstaunlich hohen Bestand an Originalsubstanz übt einen Reiz aus, der schlichtweg neugierig macht. Die tontechnisch exzellente Aufnahme mit der Betonung des Direktschallfeldes ist transparent und offenbart die kammermusikalischen Qualitäten des Möllerschen Opus. Auf dieser CD fallen neben den eingespielten Großwerken kompositorische Kleinode auf - insbesondere die beiden Inventionen des Bach-Schülers Heinrich Nikolaus Gerber und zwei Transkriptionen von Instrumentalsätzen aus Bach-Kantaten durch Franz Lehrndorfer und Weinberger selbst. Bach, der von Orgeln nicht nur Gravität, sondern auch „liebliche“ Stimmen verlangte, hätte sich in Marienmünster zweifelsohne wohlgefühlt. Auch die zahlreichen Zungenregister färben die eingespielten Kompositionen immer wieder auf neue Weise. Man spürt, dass sich Weinberger auf die Besonderheiten des Instrumentes experimentell und zugleich mit stilsicherem Klangsinn einlässt. Allein der unverhoffte Einsatz der Hautbois 8’ des Rückpositivs in der Transkription von BWV 156/1 offenbart eine Stimme pastellfarbener, ja nahezu märchenhafter Dimension.

Weinberger spielt die beiden Bachschen Großwerke (sog. Dorische Toccata nebst Fuga und die Passacaglia) mit vitalem Drive. So entlockt er Möllers stattlicher Orgel in den Plenumsregistrierungen eine flächige und zugleich satte Grandeur, die sich durch ein charakteristisch federndes Timbre auszeichnet.

Das Label TYXart vergegenwärtigt hier auf hervorragende Weise ein historisches Großinstrument, das dem Gestaltungswillen barocker Repräsentation wahrlich entspricht. Wer das Zeitalter des Barock insbesondere im Sakralraum als eine Art Theaterinszenierung verstanden hat, erhält mit dieser CD mehr als den Soundtrack dazu: Die Klänge besitzen O-Ton-Qualität, wie wir sie heute bestmöglich entschlüsseln können.  (mpk) 

 
Die aktuelle Restaurierung 

Ziel der Restaurierung durch die Firma Muhleisen, Straßburg, in den Jahren 2010-2012 war die Wiederherstellung der Orgel und die Rückführung auf den vermutlichen Originalzustand anhand aller derzeit verfügbaren Quellen und des Befundes an den Windladen incl. Stöcken und Rasterbrettern (viele davon noch original erhalten) und dem Pfeifenmaterial. Dabei galt es zu respektieren, daß erstaunlich viele Pfeifen deutlich höhere Aufschnitte haben, als nach heutiger Kenntnis in der Erbauungszeit üblich. Zahlreiche Pfeifen behielten bis heute
nicht nur ihr ursprüngliche Länge – anhand dieser Pfeifen konnte eine mitteltönige Temperatur mit 1/6 Komma rekonstruiert werden –, sondern auch ihre originale Aufschnitthöhe: die Labien zeigen eine charakteristische, schwungvolle Schnittführung des Messers, die von den Orgelbauern der Firma Muhleisen respektvoll als ‚Möller-Phase’ bezeichnet wurde. Die spezielle Mensurierung und die Aufschnitthöhe führen dazu, daß sich bei zurückhaltender Registrierung selbst Stücke in entlegenen Tonarten oder mit schroffen harmonischen Ausweitungen ausführen lassen.

Besonderheiten dieser Orgel

Die Orgel verfügte über eine Balganlage mit vier Keilbälgen von jeweils 3360 x 1590 mm (11½ x 5½ Hannoveraner Fuß), die 1920/21 entfernt und jetzt rekonstruiert wurde. Sie läßt sich sowohl über einen Ventilator betreiben (ein Balg wirkt dann als Magazin), als auch von einem Calcanten bedienen. Als dritte Variante kann die Balganlage mittels einer hydraulischen Vorrichtung ohne menschliche Einwirkung
betrieben werden.   

Möllers spezielle Klangvorstellung manifestiert sich u.a. darin, daß das Rückpositiv akustisch wie klanglich ein ebenbürtiger Gegenpol zum Hauptwerk ist, nicht dessen kleineres, schwächeres Pendant. Sowohl die besondere Mensurierung (die Principalregister sind deutlich weiter als die des Hauptwerks!) der Pfeifen des Rückpositivs als auch dessen Positionierung führen dazu, daß dessen Klang im Kirchenraum sehr präsent ist. Demgegenüber wirkt das Hauptwerk, das im oberen Teil des Gehäuses, noch über dem Brustwerk, untergebracht ist, indirekter. Das Rückpositiv eignet sich daher nicht so sehr zur Verwendung im ‚traditionellen’ Sinne als Echowerk, sondern hervorragend für besondere räumliche Klangwirkungen in der Abstufung Nah/Fern und in manchen Kontexten durchaus als vollwertiger Ersatz für das Hauptwerk.                                                                   
Es scheint die deutliche Betonung des Hauptwerk-Fundaments mit zwei Registern in 16’-Lage und einer Großquinte 6’ gewesen zu sein, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Wunsch nach einem zusätzlichen Subbass 16’ im Pedal aufkommen ließ, der 1879 gemeinsam mit einem Gedactbass 8’ auf einer separaten Lade hinter dem Gehäuse aufgestellt wurde – dieser Zusatz wurde in gleicher Weise und entsprechend den überlieferten Mensuren rekonstruiert. 

Eine weitere Besonderheit dieser Orgel ist, daß alle Lagen vom 16’ bis zum 1’ vertreten sind, selbst im Pedal. Gerade in diesem manifestiert sich Möllers individuelle Klangästhetik: Er verzichtete auf ein zweites, leises 16’-Register (Subbass) und fügte dafür am anderen Ende der Tonhöhenskala eine 2’-Zunge (Cornett) und eine Choralflöte in 1’-Lage ein. Beide Register begünstigen die Gestaltung schneller Pedalpartien und verleihen dem Pedalklang eine ganz eigene Färbung.   

Disposition

Hauptwerk (14 Register) Schleifladen (1738/1921/2012)
Principal 16’ (ab F, 1738)
Octav 8’ (1738)
Viola di Gamba 8’ (teilweise 1738)
Gemshorn 8’ (1738)
Quinte 6’ (1738)
Octav 4’ (1738)
Flöte duis 4’ (1738)
Tertia 3’ (weitgehend 1738)
Sesquialtera 3f. (1738)
Cornett 3f. (1738)
Mixtur 4f. (teilweise 1738)
Cimbal 4f. (2012)
Trompete 8’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)
Vox humana 8’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)

Brustwerk (8 Register) Schleiflade (1738)
Quintadena 8’ (1738)
Flöte traverso 4-8’ (2012)
Gedact 4’ (1738)
Principal 2’ (1738)
Flageolett 1 ½’ (1738)
Quinte 1 ½’ (1738/2012)
Mixtur 3f. (1738)
Krummhorn 8’ (ab c° Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)

Rückpositiv (12 Register) Schleifladen (2012)
Principal 8’ (1738)
Gedact 8’ (1738)
Octav 4’ (1738)
Rohrflöte 4’ (1738)
Quinte 3’ (1738)
Quintflöte 3’ (1738)
Super-Octav 2’ (1738)
Waldflöte 2’ (1738 ab c°)
Sesquialtera 2f. (1738)
Mixtur 4f. (weitgehend 1738)
Fagott 16’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)
Hautbois 8’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)

Pedal (10 Register) Schleifladen (1738/1921)
Principal 16’ (1738)
Octav 8’ (2012)
Nachthorn 4’ (1738)
Choralflöte 1’ (2012)
Mixtur 6f. (1738)
Posaune 16’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)
Trompete 8’ (Becher 1738/Stiefel+Nüsse 2012)
Cornett 2’ (2012)

Auf separater Windlade hinter dem Gehäuse: Subbass 16’ (1879/2012),
Gedactbass 8’ (1879/2012), Insgesamt 2.748 Pfeifen, Umfang (Möller 1738): Manuale C, D–c 3 (48 Töne); Pedal: C–d 1 (27 Töne), Spielhilfen: Koppel RP/HW, Mechanische Spiel- und Registertraktur, Balganlage (4 Bälge von je 1,6x3,2 Meter) nach historischen Angaben rekonstruiert, hinter dem Orgelgehäuse, Stimmtonhöhe: a 1 = 467 Hz, Temperierung: mitteltönig 1/6'

Der Umfang der Manuale von C, D bis c 3 entspricht den Normen der Zeit. Ungewöhnlich ist hingegen der chromatische Umfang des Pedals (C-d 1 ) unter Einschluß des Cis. Die sorgfältige Untersuchung der Pedal-Windladen und der Ventile erbrachte den Beweis, dass die Bohrungen und Öffnungen für den Ton Cis original sind und bestätigte mithin die Informationen von A. Bollens. In den Registern Nachthorn 4’, den Chören der Mixtur 6f. sowie im Principal 16’ tragen Pfeifen des Tons Cis im übrigen Tonbezeichnungen in derselben Handschrift wie die übrigen Möller-Pfeifen.

Möllers Werk fügt sich ein in das Spektrum bedeutender barocker Orgeln in Westfalen, das sie um eine ebenso interessante wie ungewohnte Palette von Klangfarben und Registriermöglichkeiten bereichert. Allerdings verlangt sie jedem Spieler die Bereitschaft ab, sich auf ihre Besonderheiten einzustellen, ungewöhnliche Registrierungen auszuprobieren und sich auf Experimente einzulassen. Es bleibt zu hoffen, daß sich möglichst viele renommierte Organistinnen und Organisten einer solchen Herausforderung stellen werden.                                                                                                                                                                                                                 

                                                                                                                         

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