Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche
ISSN 2509-7601
Kirchenlieder zum Mitsingen: "Kirchenlieder" & "Kirchenlieder Advent/Weihnachten" per MP3-Download oder als CD mehr |
Totgeglaubte leben länger - Eine verkaufte Orgel als Ausflugsziel
Lange Zeit habe ich mich gefragt, was denn, nachdem sie einer Nachfolgerin weichen musste, aus der alten Hammer Liebfrauen-Orgel geworden ist. Informationen gab es verständlicherweise recht wenige. Ich wusste vom Hörensagen, dass sie verkauft worden sei. So bekam ich schließlich von einem Geistlichen den Tipp, mich doch einmal in der katholischen Pfarrgemeinde „Vom Göttlichen Wort“ zu Dortmund-Wickede umzusehen. Dort sollte ich dann das Instrument wiedersehen und hören, an dem über viele Jahre mein Orgelunterricht bei der damaligen Kantorin Margarethe Connerth stattfand.
Gesagt, getan. An einem Sonntagmorgen fuhr ich nach Dortmund-Wickede und besuchte das äußerst gut und recht altersgemischt frequentierte Hochamt um 11 Uhr. Beim Betreten der Kirche musste ich mich bereits nach ein paar Schritten unwillkürlich nach hinten wenden. Äußerlich war nahezu nichts verändert, die beiden großen Gehäuseteile hatte man lediglich etwas weiter auseinandergerückt. Nach den ersten Takten zu Beginn des Gottesdienstes war der Beweis dafür erbracht, dass das äußere Bild nicht trog. Unverkennbarer Liebfrauenklang. Klänge sind prägend. Sie brennen sich tief ein – in Kopf und Herz. Und so dürfte es jedem aus Liebfrauen ergehen, der diesen kleinen Ausflug nach Dortmund-Wickede auch einmal wagt. Alles ist leicht zu finden.
Nun, die jetzt verpflanzte und übrigens ohne Reparaturen gut funktionierende dreimanualige Orgel hat eine bewegte Geschichte hinter sich. 1935/36 leistete man sich in Liebfrauen ein relativ großes Instrument der Firma Feith-Eggert mit 46 Registern. Trotz der weitgehenden Zerstörung der Kirche während des Zweiten Weltkrieges – es war übrigens das erste im Krieg zerbombte deutsche Gotteshaus – konnte die Orgel größtenteils gerettet und zum Hafen ausgelagert werden, um daraufhin in der Nachkriegsnotkirche an der Alleestraße in Teilen wieder ein neues Zuhause finden zu können. Nach dem Wiederaufbau der Liebfrauenkirche (1952/53) wurde die in Werl ansässige Firma Stockmann damit beauftragt, die Orgel einem gewissen liturgischen Zeitgeschmack folgend in Altarnähe wiedereinzubauen. 44 Register fanden dort ihren Platz.
1977 entschloss man sich zu einem technischen Neubau auf der erweiterten Westempore, den ebenso die Orgelbaufirma Stockmann durchführte. Die "Technik“ (insbesondere durch die Umstellung auf Schleifladen bedingt) und das Orgelgehäuse waren völlig neu. Wesentliche Bestandteile des alten Pfeifenmaterials und der historische Spieltisch wurden hingegen beibehalten. Man entschied sich auch unter dem Einfluss eines sog. neobarocken Klangideals, sechs neue und für die Zeit verhältnismäßig behutsam ergänzende Register einzubauen. Dieses damals sehr bedacht entschiedene Projekt kostete die Gemeinde nur erstaunliche und kommunizierbare 190.000 DM. Viele Spender des Neubaus von 1977/78 sind heute noch in der Gemeinde aktiv.
Nachdenklich stimmende Worte aus dem Buch "Vom Umgang mit Orgeln" von Andreas Nohr „Darum gibt es auch kaum einen halbwegs passablen Organisten, der nicht irgendwann die ihm angediente Orgel seinem Geschmack angepasst hätte. Das heißt – natürlich nicht dem seinen, sondern nur und ausschließlich den historisch notwendigen Erfordernissen, oder was er sonst an ideologischen Argumenten aus der Tasche kramt. Aber heraus kommt zufällig immer, was er eben gerade wollte. Und das ist – wie unerwartet! – meist das, was eben gerade jetzt Tendenz ist.“ mehr ++++++++++++++++++++ YouTube-Clip "Totgeglaubte leben länger" & längere O-Ton-MP3 |
Nach nur 27 Jahren sollte dieser technische Neubau einem weiteren Neubau weichen, der 2006 eingeweiht wurde. Übrigens muss diese neue Orgel dem Vernehmen nach heute immer noch durch Kollekten von der Gemeinde refinanziert werden (Orgelbau Goll AG Luzern - 52 Register auf drei Manualen und Pedal - ca. 1,05 Millionen EUR).
Am 3. Januar 2005 begann der Abbau der alten Liebfrauen-Orgel. Dazu musste alles vom kleinsten Schräubchen bis zur größten über fünf Meter langen Pfeife in 7 Fuhren mit einem 7,5t-Lkw nach Dortmund-Wickede gebracht werden. Aus der Gemeinde war zu erfahren, dass lediglich sehr geringfügige Ausbesserungen und relativ wenige Ergänzungen durchzuführen waren. Das gilt insbesondere für die Behebung des dem Vernehmen nach in Hamm öffentlich kommunizierten "Wasserschadens", dessen augenscheinliche Harmlosigkeit an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden soll. Strategien dieser Art zur Spenden-Generierung dürften in der Orgelszene bekannt sein. Beim Lesen der von der Wickeder Pfarrgemeinde herausgegebenen Festschrift zur Orgelweihe fällt indes auf, dass der mit diesem Projekt durch das Erzbistum Paderborn beauftragte Orgelsachverständige in seiner Funktion nicht erwähnt wird.
Das Werk erhielt in Wickede neben zwei neuen Registern und einer Registerergänzung eine komplette Neuintonation. In der Osternacht 2005 erklang die ehemalige Liebfrauenorgel das erste Mal in ihrer neuen Dortmunder Heimat. Das Klangbild zeichnet sich durch eine erstaunlich warme und vielschichtige Gravität aus.
So kann ich mich als ehemaliger Orgelschüler dieses Instrumentes glücklich schätzen, denn wer die Szene ein wenig kennt weiß Folgendes: Orgeln, die heute aus individuellen geschmacklichen Gründen mutatis mutandis "kaputtgeschrieben" wurden und dann "entsorgt" werden müssen, verkauft man in der Regel nach Polen oder Ungarn. Dieses ist in diesem Falle Gott sei Dank nicht geschehen. Es sind lediglich 30 Kilometer zu überwinden. Ich werde von Zeit zu Zeit wieder gerne alte Erinnerungen aufleben lassen und dorthin fahren. (© mpk 2009)
Die Disposition der Feith-Stockmann-Orgel
Katholische Pfarrkirche Vom Göttlichen Wort zu Dortmund-Wickede (ab 2005), vormaliger Standort: Katholische Pfarrkirche Liebfrauen zu Hamm 1935/1977-2004
I. Hauptwerk (C – g3)
1. Gedackt 16’ Altbestand
2. Principal 8’ 1977
3. Gemshorn 8’ Altbestand
4. Doppelflöte 8’ Altbestand
5. Italienisch Principal 4’ Altbestand
6. Querflöte 4’ Altbestand
7. Gemsquinte 2 2/3’ Altbestand
8. Nachthorn 2’ Altbestand
9. Cornett 5fach 2 1/3’ 1977
10. Mixtur 4-6fach 1 1/3’ 1977
11. Trompete 8’ 2006 neu
II. Rückpositiv (C – g3)
12. Gedackt 8’ Altbestand
13. Quintade 8’ Altbestand
14. Oktave 4’ Altbestand
15. Blockflöte 4’ Altbestand
16. Oktave 2’ Altbestand
17. Quinte 1 1/3’ Altbestand
18. Zimbel 3fach 1/2' 1977
19. Vox humana 8’ Altbestand
Tremulant
III. Schwellwerk (C – g3)
20. Quintade 16’ 1977
21. Geigenprinzipal 8’ Altbestand
22. Gedacktpommer 8’ Altbestand
23. Spitzflöte 8’ Altbestand
24. Zartgeige 8’ Altbestand
25. Praestant 4’ Altbestand
26. Gemshorn 4’ Altbestand
27. Schwiegel 2’ Altbestand
28. Quinte 2 2/3’ (statt Terzian 2fach Altbestand) Altbestand Wickede
29. Terz 1 3/5’ (statt Glöcklein 1’ Altbestand) aus Terzian 2fach Altbestand
30. Scharff 5fach 1’ 1977
31. Oboe 8’ Altbestand
32. Zink 4’ Altbestand
Tremulant
Pedal (C – f1)
33. Principal 16’ Altbestand
34. Violon 16’ Altbestand
35. Subbass 16’ Altbestand
36. Quintbass 10 2/3’ Altbestand
37. Oktavbass 8’ Altbestand/Prospektpfeifen 1977
38. Gedackt 8’ Altbestand
39. Choralbass 4’ Altbestand
40. Bauernflöte 2’ Altbestand
41. Rauschpfeife 5fach 2 2/3’ Altbestand
42. Posaune 16’ 2006 neu
43. Waldhorn 8’ Altbestand
44. Klarine 4’ Altbestand
Normalkoppeln - 2 freie Kombinationen - Walze - Tutti - Einzelabsteller