Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601





Dreistes Marketing: Die "Bachsche Silbermann-Orgel" 

Erstaunliche Fakten einer einträglichen Allianz

Seit Jahr und Tag wird auf dem Musikmarkt die unreflektierte Mär verbreitet, Bach wäre quasi gleich Silbermann und am besten könne man die Musik des Thüringers auf einem Instrument des Sachsen darstellen. Mit dieser Plakatierung lassen sich CDs, DVDs, Digitalorgeln, Samplesets,
Konzertkarten und Hotelbuchungen besser verkaufen. Bei genauerem Betrachten mag man den Marktinteressierten angesichts eines derartigen Ansinnens entgegenhalten: Leider wird da kein Schuh draus, noch nicht einmal ein linker oder rechter Flip-Flop, mit dem man den Weg der Wahrheit ein paar Meter weit beschreiten könnte.

Drei gut belegte Gegenargumente

1. Die biographische Faktenlage gibt nämlich gänzlich anderes her: Nachweislich traf Johann Sebastian Bach mit dem Zeitgenossen Gottfried Silbermann nicht nur erst vier Jahre vor seinem Tod zusammen. Auch die Instrumente Silbermanns lernte Bach erst ab ca. 1730 kennen, als er bereits den größten Teil seiner Orgelwerke komponiert hatte. Indes sind die Kontakte des Komponisten zu anderen Orgelbauern ab seinen ersten Organistenjahren zu Arnstadt (1703) gut dokumentiert. Namen wie Hildebrandt, Stertzing, Trebs, Trost und Wender wären hier zuvörderst zu nennen.

2. Die Orgelwerke Johann Sebastian Bachs waren und sind mit Gottfried Silbermanns Instrumenten bei begrenztem Pedalumfang und konservativer Stimmung nur sehr erschwert zu realisieren. Letztere widerspricht dem wohltemperierten Musizieren. Zum Ärger mancher Zeitgenossen hielt Silbermann nachweislich am "Wolf gis-es" fest.

3. Bedeutsamer ist aber ein substanzieller Faktor: Bachs kreative, innovative und flexible Orgelbauvorstellungen passten nicht zu denen Silbermanns, der recht uniform disponierte (und auch deshalb wirtschaftlich hoch effiziente) Instrumente konstruierte. Bachs Ideen waren der Trias Gravität, Schärfe und Lieblichkeit gewidmet. Sie griffen zwar den mitteldeutschen Orgeltyp thüringischer Prägung deutlich auf, integrierten
aber Innovationen aus anderen Strömungen bereitwillig und antizipierten im Rahmen eines visuell aufgeweichten Werkprinzips den galanten Stil - u.a. durch viele uns heute nahezu romantisch erscheinende 8- und 4-Fuß-Register.

Bachs integrative Orgel-Trias: Gravität, Schärfe und Lieblichkeit   

Konkret erfordern Bachs Vorstellungen folgende Dispositionskriterien:

- möglichst 16-Fuß-Basis - mitunter auch mit Zungenstimmen - in den Manualen, insbesondere im Hauptwerk und selbst in kleineren Räumen eine Pedaldisposition mit 32-Fuß-Registern (Gravität),

- möglichst komplett ausgebauter Prinzipalchor inkl. Mixturen, dazu Sesquialteramischungen in allen Manualen (Schärfe) und

- nicht zuletzt Streicher und Charakterstimmen wie
Gambe, Salicional, Violon, Fugara, Unda maris, Flaut douce/traversiere oder dergleichen (Lieblichkeit).

Fazit: Nord-Süd- vs. Ost-West-Beziehungen

Summa summarum stellt der von Bach entworfene Orgeltyp eine Synthese der norddeutschen und süddeutschen Vorstellungswelt dar: ausgebautes und somit solistisches Pedal, dazu galant-expressive Solostimmen, die den dynamischen Darstellungsrahmen eines klanglich gut fundamentierten Orgelklanges nahezu individualistisch erweitern.

Gottfried Silbermanns standardisiertes und merkantil durchdekliniertes Orgelmuster schlägt hingegen den Bogen von Ost nach West. Es leugnet mitnichten die konservativen Elemente des französischen Orgelbaus, die er bei seinem Bruder zu Straßburg erlernte. 

Die Behauptung einer silbermannschen Bachorgel ist tumbes und dreistes Marketing.

Um aber diese Metapher besser in die Werbewelt einordnen zu können, muss man wissen: Die Silbermann-Orgel als vermeintliche Bach-Orgel gehört zu einer umfassenderen unhistorischen Heldensaga, die schon so lange in den Charts ist, dass man zunächst zwischen Tradition, Brauchtum und alternativen Fakten nicht mehr zu unterscheiden vermag.  (© mpk)

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Instruktive Links und wissenschaftliche Literatur zum Thema

http://jsbach.de/bachs-welt/dokumente/1708-februar-muehlhausen-js-bachs-disposition-fuer-den-umbau-der-orgel-der

https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtkirche_St._Wenzel_(Naumburg)#Orgel

https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Altenburg_(Th%C3%BCringen)#Orgel

https://de.wikipedia.org/wiki/Orgel_der_Schlosskirche_in_Lahm_(Itzgrund)

http://www.musikundtheologie.de/69.html

https://books.google.de/books?id=uPZ0Kv2Ez1gC&pg=PA107#v=onepage&q&f=false

- E. Kooiman, G. Weinberger, H. J. Busch, Zur Interpretation der Orgelmusik Joh. Seb. Bachs, Kassel 1995

- C. Wolff, M. Zepf, Die Orgeln J. S. Bachs. Ein Handbuch, Leipzig 2006

- W. Schrammek, Versuch über Johann Sebastian Bachs Vorstellung von Orgelbau, Orgeldisposition und Orgelregistrierung, in: Johann Sebastian Bach und die Aufklärung, Leipzig 1982 (Bach-Studien. 7.)

- U. Dähnert, Johann Sebastian Bach's Ideal Organ, in: The Organ Yearbook 1, 1970

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Ein anschauliches Beispiel dieser Heldensaga wird in folgender MuTh-Rezension besprochen:



Alles geht den Johann Sebastian Bach runter? Zielführende Einblicke in ein 7-stimmiges Narrativum: Das - netto betrachtet - 119-seitige Opus von Harald Sumik "Alles geht den Johann Sebastian Bach runter? Eine märchenhafte Fuge a sette voci" ließ mich nach vollzogener Lektüre etwas ratlos zurück. Zunächst hatte ich das Lesen mit drängender Neugierde begonnen, auch angesichts der durch den Ventura-Verlag (Werne a.d. Lippe) behaupteten Literaturgattung Roman war ich gespannt. Leider ließen mit zunehmendem Seitenkonsum die empfundenen Ungereimtheiten doch einige Dissonanzen beim Lesen auftreten und so manches als Bicinium erscheinen. Die gewiss konstruktiven und guten Seiten der Erzählung wurden dadurch deutlich in den Schatten gestellt. Schauen wir uns das doch nun einmal im Rahmen dieser Rezension etwas genauer an. "Leipzig, im Dezember 1734. Der große Johann Sebastian Bach steht kurz vor der Uraufführung seines Weihnachtsoratoriums, doch hinter jeder neuen Note verbirgt sich ein neues Problem. So muss sich Bach mit dem Sächsisch-Dresdner Rundfunkkammerorchester herumplagen, mit großspurigen Musikmanagern oder auch Versagensängsten auseinandersetzen. Zudem kriselt es in seiner ...  mehr  


                                                                                                                         

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