Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601

  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Osnabrücker Orgel-Promotion: St. Mariens Marktmatinée mit Stefan Kießling                   

      

Stefan Kießling aus Leipzig macht es sich auf dem Osnabrücker Wochenmarkt nach seinem Orgelkonzert in St. Marien an Marita Schweigmanns "Gemüseküche" bequem. Diese Seite soll davon berichten, wie es zu der geplanten Verabredung kam.

Beginnen wir aber ganz kategorisch: Wie bekomme ich die Königin der Instrumente an die Frau oder an den Mann? Vielleicht sogar an das Kind oder den Jugendlichen? Diese Frage haben sich bereits sehr viele Profis und Enthusiasten gestellt. Manche haben Antworten bereit, die mehr oder weniger befriedigen und zielführend sind. Als recht unglücklich hat sich beispielsweise die provozierte hohe Hemmschwelle erwiesen, in typischen Arbeiterstädten Orgel-Konzertreihen mit lateinischen Namensgebungen zu versehen. Das hat sozialen Ausgrenzungscharakter und schließt eo ipso (sic!) - bei aller Liebe zum Abendland - selbstverständlich den breiten Erfolg in aller Distinktion nachhaltig aus und etabliert den geschlossenen Kreis einer orgelsachverständigen Arkandisziplin, die sich dann über deren finale Abgängigkeit beschweren möchte.

Nichts von alledem in Osnabrück. Die Hemmschwelle liegt hier recht niedrig, und doch wird sehr Anspruchsvolles transportiert. Der Szenenapplaus bei Kießlings Ligeti-Darbietung zeigt es auf. Gewiss, die Friedensstadt besitzt zweifelsohne einen hohen Anteil des definierten Bildungsbürgertums. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit.

Kirchenmusikdirektor Zündorf hatte eine zündende und charmante Idee: Warum nicht mit einem starken und bekannten Partner vor Ort zusammenarbeiten, der das Thema Orgel nachhaltig auf breiter Basis multipliziert?

"St. Marien verfügt über eine der schönsten und größten Orgeln der gesamten Region. Sie wurde 1967 von der holländischen Orgelbauwerkstatt Flentrop erbaut. Um dieses Instrument einer noch breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, lädt Kirchenmusikdirektor Carsten Zündorf zusammen mit der Interessengemeinschaft Osnabrücker Wochenmärkte IOW e.V. namhafte Organistinnen und Organisten aus dem In- und Ausland mit attraktiven Programmen ein." (so Max Ciolek und Carsten Zündorf auf ihrer Seite www.musikanmarien.de)

Das gewisse Etwas ergibt sich durch die Streuung der etablierten Partner und die zeitliche Kongruenz: Wochenmarkt am Samstag und von Ostern bis Erntedank monatlich eine Orgelmatinée mit zeitlich abgestecktem Rahmen (12.15 bis 13 Uhr), ohne in Konkurrenz zu treten. Die Identifikation der Marktreibenden mit den Orgelkonzerten ist beachtlich. Ein Gang mit KMD Zündorf und dem Organisten des Tages Kießling über den Markt lässt das sehr deutlich spüren. Es ergeben sich immer wieder kurze Gespräche, Komplimente und Zuspruch. Man kennt sich oder will sich kurz kennen lernen. Orgelmusik ist im Gespräch.


   
Zu Stefan Kießlings Konzert im Genaueren:

Dietrich Buxtehude - Präludium in d BuxWV 140                                                Johann Sebastian Bach - Sonate e-Moll BWV 528                                                     György Ligeti - Orgel-Etüde I: "Harmonies"                                                              Johann Sebastian Bach - Concerto C-Dur "Grosso Mogul" BWV 594 (nach Vivaldi) 

Fassen wir es sofort zusammen: Diese Konzertdarbietung zeugte von einer hohen Musikalität mit dichter und erstaunlich reifer Darstellungskraft. Kontemplative Ruhe verleitete den Zuhörer suggestiv zur Einkehr, so ganz besonders im zweiten Satz der Bachschen Triosonate. Aber nicht nur hier stimmten die grundsätzliche und auf gute Kontraste angelegte Tempowahl mit Agogik und Artikulation im Rahmen einer Gesamtdramaturgie schlüssig überein. 

Kießlings Virtuosität war beeindruckend zu vernehmen - genau dort, wo sie ihren logischen Platz hatte. Nein, diese Virtuosität besaß keinen Selbstzweck, bediente keine Selbstdarstellungsattitüden, vielmehr diente sie - und zwar der Musik. Hier kam nicht nur der Drive des Triosonaten-Allegros, sondern auch vor allem das bis an die Grenze der Spannung reichende Accelerando der Kadenzierungen im Bach-Vivaldi-Konzert und dessen Schlusssatz zum Tragen. Dabei muss folgender Umstand in die Betrachtung miteinbezogen werden: "Die Musik Vivaldis sieht in der Partitur nicht so interessant aus. Aber wenn man sie zu interpretieren versteht, dann glänzt diese Musik" (Andrea Marcon). Genau diesen Glanz wusste Kießling der Musik durch stimmige Gestaltung zu verleihen. Es ist das, was man so häufig im Konzertbereich vermisst: Einnehmende Virtuosität wurde während dieser Marktmatinée in reflektierter Weise ausgestaltet und zelebriert.  

Keine Frage, ein Marktkonzert ist stets ein klein wenig unruhig. Vorbeigehende, die die Orgelklänge von draußen hören, fühlen sich - Gott sei Dank - veranlasst, die Kirche zu betreten. Doch Kießling wusste insbesondere mit Ligeti ("Harmonies"), Ruhe zu managen. Kein Besucherschritt war zu hören. Dieses akkordisch strukturierte Werk besticht durch seine sphärisch atmenden Klänge bei halb gezogenen Registern. Der Szenenapplaus machte deutlich, dass Orgelkonzertbesucher ein kognitives Ungleichgewicht, sprich Neugierde mitbringen und sich neu vernetzen können, denn Carsten Zündorf hatte das Publikum vor dem Konzert didaktisch geschickt in die Materie eingeführt.                                                                                                               

Marita Schweigmann übernahm an diesem Samstag die Patenschaft für dieses Konzert und richtete für den Gastorganisten - und honoriger Weise auch für die weiteren Gäste - ein schmackhaftes vegetarisches Mahl à la "Leipziger Allerlei" mit passendem Ambiente aus. Linde Müllers Cafe & Feinkost durfte anschließend selbstverständlich mit einem guten Tee und Datteln mit Schinken oder Stuten nebst edler Konfitüre nicht fehlen. 

Hier ist Stefan Kießling zusammen mit KMD Carsten Zündorf zu sehen.                                                                                                                                    

Der speziell für den Organisten des Tages nebst Gefolge amüsant hergerichte Markt-Platz zeugte von Geschmack und dem Sinn für das Ausgefallene.               

         

Humor wurde auch hier deutlich:                                                                

     

Gleich nach dem Markt ging es in St. Marien standardisiert weiter.  (mpk)   

     

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              

                                                                                                                                

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