Journal für Orgel, Musica Sacra und Kirche

                   ISSN 2509-7601   

                                                                          

      

Hermode Tuning

Pfeifenorgel mit programmgesteuerter Stimmung                                                      
Die Firma Orgelbau Voigt in Bad Liebenwerda stellt gegenwärtig im Rahmen mehrerer Symposien eine revolutionäre Orgel vor. Diese stimmt sich entsprechend der gespielten Musik per Computerprogramm in Echtzeit zu hoher Quinten- und Terzenreinheit, intoniert also wie ein gut geschulter Kammerchor. Die Idee dazu kommt aus Trossingen, wo auch das entsprechende Programm unter dem Namen „Hermode Tuning“ entwickelt wurde. Wir sprachen mit einem der Entwickler, Herrn Werner Mohrlok.                                                                                                                          
Redaktion: Herr Mohrlok, wie kommt man eigentlich auf die Idee, eine Orgel mit einer programmgesteuerten Stimmung zu versehen?                                         
Mohrlok: Zu der Orgel kam es relativ spät. Begonnen hat es damit, dass ich als Fagottist in mehreren Kammermusikensembles mit Bläsern und Streichern mitwirkte. In solchen Ensembles ist eine terzen- und quintenreine Intonation gefordert, daran wird während der Proben hart gearbeitet. Wenn ich aber zuhause übte, hatte ich keine Kontrolle darüber, ob ich im harmonischen Kontext rein intonierte. Deshalb träumte ich von einem Begleitinstrument mit programmgesteuerter reiner Stimmung.                                                                                                                            
Redaktion: Und wie kam es zur Verwirklichung dieses Traumes?                           

Mohrlok: Einer meiner Söhne ist Programmierer und Elektroniker. Ich hatte ihm verschiedentlich von meiner Idee erzählt und er schlug mir vor, mit geeigneter Hard- und Software nach meinen Vorgaben ein Testprogramm zu schreiben und das Ergebnis anzuhören.                                                                                                                                   
Redaktion: Und waren Sie zufrieden mit dem Ergebnis?                                                                
Mohrlok: Am Anfang ganz und gar nicht. Es waren im musikalischen Verlauf deutliche Umstimmungen zu hören, bis wir auf den Dreh kamen, dass alle gleichzeitig erklingenden Töne, soweit korrigierbar, sich gegenseitig in Ihrer Position beeinflussen sollten. Stellen Sie sich das Niveau der gleichstufigen Stimmung als eine waagrechte Linie vor, um die herum die korrigierten Töne schweben, ein Teil höher, ein Teil tiefer als diese Linie, wobei darauf geachtet wird, dass sie sich nicht zu weit von derem Niveau entfernen. So ähnlich handhaben es auch bewusst oder unbewusst die Musiker in gut geschulten Kammermusikensembles und Sinfonieorchestern. Der Witz ist: Unser System ist objektiv betrachtet sehr labil, hört sich aber ganz normal und stabil an.                                                                                                                                   
Redaktion: Was meinen Sie mit „soweit korrigierbar“?                                                                                                                            
Mohrlok: Es gibt einerseits Notenkombinationen mit bis zu sechs verschiedenen Tönen, welche sinnvoll terzen- und quintenrein zueinander gestimmt werden können, andererseits kann das schon bei nur drei Noten unmöglich sein, beispielsweise bei einem übermäßigen Dreiklang.                                                                              
Redaktion: Wie gehen Sie in solchen Fällen vor?                                                                            
Mohrlok: Dann stimmen wir die Töne so, dass es melodisch schlüssig klingt.     

Redaktion: Wenn wir Sie recht verstehen, korrigieren Sie die Stimmung nur durch harmonische Analyse der Notenkombinationen. Spielen Tonarten für Ihr Programm auch eine Rolle?                                                                                                                      
Mohrlok: Nur eine geringe, aber deren Analyse hilft mit, den Stimmungsablauf unauffällig zu steuern.                                                                                                                    
Redaktion: Ihr Programm gibt es schon seit einiger Zeit in Computeranwendungen für die Erstellung virtueller Orchestermusik. Wie kam es zu der Pfeifenorgel?                                                                                                        
                                                                         
Mohrlok: Ich besitze einen Sakralexpander, mit dem man Kirchenorgelklänge simulieren kann. Dieser ist von einem Keyboard aus anspielbar und versteht die Umstimmungsbefehle meines dazwischen geschalteten Computers. Zwei Orgelprofessoren musizierten mit diesem System und waren so begeistert, dass sie sagten: „Das muss in eine richtige Pfeifenorgel rein“. Sie empfahlen mir die Firma Voigt, weil sie sehr innovativ sei. Ich wurde dort gleich mit offenen Armen empfangen. Vielleicht, weil die Inhaber auch Orchestermusiker beziehungsweise Chorleiter sind und deshalb für die Unzulänglichkeiten traditioneller Orgelstimmung gerade bei Chor- und Orchesterbegleitung schon länger sensibilisiert waren. So entstand dieses Projekt, die Fachhochschule in Mittweida als weitere Mitwirkende entwickelte die Elektronik. Bemerkenswert ist: Weil der Markt keine leistungsfähigen und gleichzeitig schlanken Magnetantriebe liefert, hat Voigt auch diese selbst entwickelt. Überhaupt sind die bei diesem Projekt aufgetretenen Schwierigkeiten und deren Überwindung mittels neuer Technologien eine Geschichte für sich. Jedenfalls steht die Orgel nun mit ihren ersten drei Registern spielbereit beim Orgelbauer. Namhafte Orgelprofessoren haben schon auf ihr musiziert und waren begeistert. Übrigens: Man kann auf dieser auch Orgel über neunzig verschiedene traditionelle feste Stimmungsmodelle aufrufen und die hörbaren Unterschiede sind eindrucksvoll. Unser System gewinnt nicht jeden Vergleich, aber nach übereinstimmenden Aussagen immer bei Musik der Klassik und Romantik. Außerdem bei jeder Musik, die für Chor- oder Orchesterbegleitung geschrieben wurde. Auch frühe, nicht tonale mehrstimmige Musik könnte damit erstmals kompetent dargeboten werden.                                                                                                                        
Redaktion: Haben Sie auch kritischen Stimmen gehört?                                                                                 
Mohrlok: Ja, so etwas gibt es natürlich auch, wie immer bei etwas Neuem. Typischerweise von Organisten, welche sich gleichzeitig weigern, diese Orgel anzuhören. Erfreulich war aber, dass ein renommierter Orgelbauer aus der Region die Orgel auch angehört hat und sich restlos begeistert äußerte. Nicht nur über die neuen klanglichen Möglichkeiten, sondern auch über die grundsolide Konstruktion.

Redaktion: Was werfen aber die Kritiker Ihrem System vor?                                                                                                                                              
Mohrlok: Dass es bestimmt langweilig klinge, dass es gleichmacherisch sei.                                               
Redaktion: Ihr Kommentar?                                                                                          
Mohrlok: Unsinn. Was alle Hörer bestätigen ist, dass der Gegensatz zwischen konsonanten und dissonanten Strukturen viel ausgeprägter ist, als bei festen Temperaturen. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass auch von unserem System verschiedene Programmversionen aufrufbar sind. Solche, die alle Tonarten gleichmäßig behandeln, andere wiederum mit leichtem Tonartcharakter, des Weiteren eine sehr extreme mit der Naturseptime in Dominantseptakkorden. Außerdem können alle Versionen sowohl mit maximaler Korrektur, als auch mit reduziertem Reinheitsgrad aufgerufen werden. Ich staune darüber, dass vielen Spielern gerade die extremste Version am besten gefällt.                                                                         
Redaktion: Kommen wir zu praktischen Fragen zurück. Das System muss doch sehr empfindlich auf Verschmutzungen der Pfeifen reagieren.                                                    
Mohrlok: Das gilt aber für jede Orgel. Nur wird diese Orgel demnächst mit einem System ausgerüstet werden, das in den Ruhepausen automatisch die Stimmung jeder Pfeife akustisch abfragt. Wenn sich Unterschiede zwischen Soll und Ist ergeben, wird das im Programm berücksichtigt und gegengesteuert. Jedenfalls bis zu einer kritischen Grenze. Wird diese überschritten, erscheint ein Warnsignal mit Hinweis auf die betreffende Pfeife. Dann kann man diese gezielt reinigen und neu justieren.                                                                        
Redaktion: Wie verhält es sich mit den Kosten für so eine Orgel?                                                                  
Mohrlok: Natürlich ist sie teurer, als eine konventionell gebaute. Andererseits klingt so eine Orgel mit beispielsweise zwölf Registern schöner und interessanter, als eine konventionelle mit deren zwanzig und kostet dann auch nicht mehr. Außerdem könnte man bei Orgelneubauten auch nur ein paar Register mit programmgesteuerter Stimmung ausstatten. Sinnvollerweise diejenige, welche zur Chor- und Orchesterbegleitung vorgesehen sind. Das planen auch schon einige Interessenten.                                                                                                                 
Redaktion: Eigentlich ginge Ihr System doch vergleichsweise einfach in Digitalorgeln einzubauen?                                                                                            
Mohrlok: Sofern deren Betriebssystem für Echtzeitumstimmung geeignet ist. Bei Kienle in Heimerdingen sind seit Neuestem solche Orgeln zu finden und besonders Chorleiter sind davon sehr angetan. 
                                                                                                                                    
© Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber der                                      "Württembergischen Blätter für Kirchenmusik"            


   

                                                                                                                          

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